Tampon-Angeln statt Eier-Werfen

Immer am 11.11. jagen die Zwölftklässler am Kippenberg-Gymnasium die Elftklässler ums Haus. „Elferjagd“ heißt der Spaß – und Eltern, LehrerInnen und Direktor setzten dieses Jahr so einiges daran, dieses Spektakel zu verhindern

Bremen taz ■ Eine dunkle Karosse rollt über die Schwachhauser Heerstraße und hält vor dem Kippenberg-Gymnasium. Die Fenster werden heruntergelassen, im Auto sitzen fünf Figuren in weißen Ganzkörperanzügen mit vermummten Gesichtern. Sie schießen. Rohe Eier und Wasserbomben schlagen auf den Bürgersteig und gegen die Beine der Jungen, die vor dem Schuleingang stehen. Diese wollen mit Tomatensuppe aus Sprühflaschen kontern. „Los! Pump, pump, schnell!“ Der Fahrer gibt Gas, schon ist der Wagen um die nächste Ecke. Aus der Schule stürmen zwei Lehrer und führen die Jungen samt Suppe ab.

Es ist „Elferjagd“ am Kippenberg-Gymnasium in Schwachhausen – wie jedes Jahr am 11.11. Seit sieben Jahren heißen die Zwölftklässler der Schule an diesem Tag die Jungs und Mädchen aus der elften Klasse in der Oberstufe willkommen – eine Art Initiations-Ritus. In den ersten Jahren zogen die Zwölftklässler noch lärmend durch die elften Klassen und malten die „Frischlinge“ an. In den letzten Jahren nun entwickelte sich daraus eine bunte Jagd zwischen den beiden Stufen rund um das ehrwürdige Gymnasium. Die Waffen: Fischöl, faule Eier, Mehl – „alles, was schön eklig ist“, flüstert es auf den Fluren des Gymnasiums.

„Das hinterließ nachhaltige Verunreinigungen in der Schule und führte bereits zu Verletzungen bei einzelnen SchülerInnnen“, schrieb der Elternbeirat der Schule vergangene Woche in einem Brief an die Eltern der Elft- und Zwölftklässler. Keine Jagdszenen rund um‘s Kippenberg – das hatten sich Eltern, LehrerInnen und Schulleiter für dieses Jahr fest vorgenommen. Denn die Jagd sei immer stärker eskaliert. Vor ein paar Jahren tobten die Kippenberger sogar vor der nahe gelegenen Synagoge herum – vorsorglich vermummt gegen Fischöl und faule Eier. Die Polizei vermutete einen Anschlag auf die Synagoge und nahm die Jagd-TeilnehmerInnen fest. Im letzten Jahr sei dann ein Junge mit einem Ei am Auge verletzt worden, und die AnwohnerInnen der angrenzenden Straßen hätten sich über den Schmutz beschwert, so Christiane Rieve vom Elternbeirat.

Statt werfend um die Schule zu pesen sollten die beiden Jahrgänge lieber zusammen in der Schule feiern, so das Angebot von Direktor Hermann Pribbernow – organisiertes Ausflippen in der Aula. „Kreativ, fantasievoll und intelligent“ wünschte er sich dies und überließ den Zwölftklässern die Organisation des Spektakels. Und so durfte er gestern Zeuge werden, wie ein langhaariger Elftklässler auf der Bühne der Aula über einer Schüssel Tomatensuppe hing und unter dem Jubel seiner Artgenossen mit den Zähnen blutrote Tampons aus der Suppe fischte.

Überreagieren würden die Erwachsenen auf die Elfer-Jagd, findet Lucas H. aus der elften Klasse. Dreck und Verletzungen hielten sich in Grenzen und „man muss ja nicht auf den Kopf pfeffern“. Dann fügt er hinzu: „Kindisch und unreif soll die Jagd sein. Aber ich darf mal ein Zitat von irgendwem anführen: ‚Wer nicht mehr innerlich Kind ist, hört auf zu leben.‘“

Nach Tampon-Angeln und Schokoladen-Wettessen in der Aula war dann offensichtlich doch nicht aller Spieltrieb erschöpft. Einige SchülerInnen drückten sich vor dem Gymnasium herum oder trabten durch Seitenstraßen, hoffend auf den Jagdbeginn. „Los, in den Unterricht“, fuhr Direktor Pribbernow eine Gruppe lungernder Schüler an. Und schob hernach mit zwei Lehrkräften Patrouille rund ums Haus. „Ich möchte echt nicht von der Schule fliegen“, meinte ein jagdwilliges Mädchen zu ihrer Bezugsgruppe – und allmählich lösten sich die Schülertrauben auf. So sollte die Attacke aus dem Auto für dieses Jahr wohl die einzige bleiben. Eierglibber und schlaffe Luftballonhäute waren das, was vom Tage übrigblieb.Dorothea Siegle