Zweifel selbst am Betreuer

Berlin gilt unter Pädosexuellen als „Pädo-Hauptstadt“. Das Team des Abenteuerspielplatzes Kolle 37 hat ein Modell entwickelt, das Kinder in offenen Jugendeinrichtungen vor Übergriffen schützen soll

von ANTJE LANG-LENDORFF

„Betreten der Baustelle nur für Kinder“ steht klipp und klar auf dem gelben Schild, das an ein Brettergebilde des Abenteuerspielplatzes Kolle 37 in Prenzlauer Berg genagelt ist. Und kleiner darunter: „Erwachsene ohne Begleitung von Kindern haben keinen Zutritt“. Ein schlechter Scherz? Ein Überbleibsel aus antiautoritären Zeiten? Keineswegs. Der Hinweis ist Teil eines Modells, das das Team des Spielplatzes zusammen mit der Katholischen Hochschule für Sozialwesen und der Beratungsstelle für sexuell missbrauchte Kinder KiZ in den letzten Jahren entwickelt hat.

Pädosexuelle sind überall dort, wo Kinder sind, also auch auf Spielplätzen. Um den Nachwuchs vor Anmachen und Übergriffen zu schützen, haben die Betreuer der Kolle 37 für sich und die Besucher neue Regeln aufgestellt. In dem Buch „Sichere Orte für Kinder“, das ab Mitte November im Handel erhältlich ist, veröffentlichten sie nun ihre Erfahrungen und liefern damit ein detailliertes Handlungsmodell auch für andere offene Jugendeinrichtungen.

Prävention ist nötig: Erst letzte Woche wurde bekannt, dass die Polizei im Juni dieses Jahres eine Gruppe von Pädosexuellen ausgehoben hat, die in einer Wohnung in der Leipziger Straße über einen längeren Zeitraum Kinder missbrauchten. Ihre Opfer hatten sie auf dem Fußballfeld vor dem Haus angesprochen. Gegen zwei der Täter begann gestern der Prozess vor dem Landgericht.

Berlin gilt unter Pädosexuellen auch als „Pädo-Hauptstadt“. „Viele ziehen extra um, weil die Stadt als so locker und tolerant bekannt ist“, berichtet ein ZDF-Reporter, der ein Jahr lang verdeckt in der Szene recherchiert hat. Insgesamt wurden wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Jahr 2002 in Berlin 844 Anzeigen erstattet. Die Polizei schätzt die Dunkelziffer auf das Sechsfache.

Bekannt ist zudem eine so genannte Selbsthilfegruppe für Pädosexuelle, die AG Pädo aus dem Arbeitskreis Humane Sexualität. Die Mitglieder treffen sich regelmäßig und tauschen sich über ihre Erfahrungen aus. Auf ihrer Homepage werben sie offen für die sexuelle Selbstbestimmung von Kindern, unabhängig von ihrem Alter.

Auf den abenteuerlichen Bauspielplatz kommen täglich Kinder und Jugendliche, die hier kochen, bauen und spielen können. Auch viele Erwachsene – Betreuer, Eltern, technische Mitarbeiter oder neugierige Touristen – gehen ein und aus; eigentlich ein idealer Ort für Pädosexuelle, um sich ihrem kindlichen Objekt der Begierde anzunähern.

Heute nicht mehr: Nachdem 1994 ein Junge aus der Kollwitzstraße Opfer eines Sexualmordes geworden war, arbeiteten die Betreuer nach und nach ein Modell zur Prävention von sexuellen Übergriffen aus. Jeder Mitarbeiter trägt inzwischen ein Namensschild, sodass die Kinder wissen, wer zum Team gehört und wer nicht. Fremde, die auf das Gelände kommen, werden grundsätzlich angesprochen. „Die Voyeure sind dann ganz schnell weg“, erzählt Sozialarbeiter Steve Kremser.

Mit den Fremden ist das Problem jedoch noch nicht aus der Welt geschafft. Pädosexuelle sind selbst häufig in pädagogischen Berufen tätig. „Wir haben auch nach Regeln gesucht, um Grenzverletzungen der eigenen Mitarbeiter zu vermeiden“, berichtet Meta Sell, eine der Betreuerinnen. Jeder, der auf dem Abenteuerspielplatz beschäftigt ist, muss einen Vertrag unterschreiben, der genau definiert, wie weit er sich einem Kind annähern darf. Einen Jungen oder ein Mädchen mit nach Hause zu nehmen ist verboten. Wer mit einem Kind in einem Zimmer allein sein will, muss das dem Team mitteilen und es begründen.

Nicht nur die Initiatoren des Modellprojekts auf dem Abenteuerspielplatz, auch die Organisation für Stricherjungs „Subway“ macht gegen pädosexuelle Übergriffe mobil. Seit Januar touren die Mitarbeiter durch die Stadt und sprechen Jungen zwischen 10 und 16 Jahren auf öffentlichen Plätzen, vor Einkaufszentren oder Schwimmbädern an. Sie befragen sie zu ihren Erfahrungen mit Kontakten zu Pädosexuellen und klären auf. Ende Februar 2005 will Subway nach Angaben von Streetworker Lutz Volkwein in Zusammenarbeit mit der Freien Universität eine Studie zur Verbreitung pädosexueller Übergriffe in Berlin veröffentlichen.

„Sichere Orte für Kinder“, herausgegeben von Sylvia Kroll, Fred Meyerhoff und Meta Sell. Zu bestellen unter www.bdja.org unter der Rubrik Publikationen, ab Mitte November auch im Buchhandel zu kaufen.