nie mehr allein von ILKE S. PRICK
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Gisela heult. Seit drei Wochen. Das ist beachtlich. Schließlich ist sie es gewesen, die Hans rausgeschmissen hat, nicht umgekehrt. Trotzdem heult sie, die ganze Zeit. Meine Freundin und ich haben Gisela unterstützt, das kann ich wirklich sagen. Wir haben zugehört, wenn sie über Hans gemeckert hat. Wir haben ihr Ohrstöpsel geschenkt und auch ein eigenes Daunenplumeau. Weil Hans Kaltfüßler ist. Nachtpinkler. Schnarcher und ein typischer Deckewegzieher. Nun ist es vorbei. Endlich!

Seine Bücher haben wir in den Lkw geladen, auch das Sofa und die Geschirrspülmaschine. Wobei das nur ein kleines Problem war verglichen mit Gisela. Die sitzt immer noch in der Küche und heult. Während meine Freundin die Räucherschale auf den Tisch stellt. Beeindruckend hatte das gerade ausgesehen, wie sie, um Hans’ bösen Geist zu vertreiben, mit Salbeirauch durch die Wohnung tippelte. Gegen den Uhrzeigersinn. „So macht man das“, sagte sie und zischelte dabei Beschwörungsformeln durch diese entzückende Zahnlücke zwischen ihren Schneidezähnen. „Indianisch?“, fragte ich, als ich wie eine Ente mit einem Fächer hinter ihr her watschelte. „Nö, ausgedacht“, strahlte sie über die Schulter hinweg, „hilft aber trotzdem.“ Bei leichteren Fällen bestimmt. Aber nicht bei Gisela.

„Ich bin so allein“, jammert sie schon wieder und drückt ihre Zigarette in der geweihten Asche aus. Sie hat einfach keinen Respekt vor Ritualen. „Das waren immerhin fünf Jahre. Man gewöhnt sich doch an so was.“ – „So was? Meinst du etwa die Fingernagelreste auf dem Küchentisch oder eher das mit der Klobrille?“ Meine Freundin ist gekränkt durch Giselas Nichtachtung unserer Geisteraustreibung. Jeder hat schließlich Empfindlichkeiten. „Es ist so ruhig in der Wohnung ohne ihn.“ Erneutes Schneuzen. Ich fasse es nicht! Sein Schmatzen und sein überlautes Gähnen waren doch nur einige Punkte auf ihrer Liste von Hans’ akustischen Entgleisungen. Bevor ich gleich schreiend einen Mord begehe, flüchte ich unter fadenscheiniger Begründung. Mitleid? Ich bestimmt nicht mehr!

Als ich mir abends jedoch ausmale, wie die Arme immer noch heulend und mutterseelenallein in ihrer Vierzimmerwohnung hockt und sich gruselt, bekomme ich ein schlechtes Gewissen. „Vergiss es“, meint meine Freundin, „für Gisela ist gesorgt.“ Sie schiebt mir eine leere CD-Hülle zu: „Nie mehr allein – 62 Minuten Zweisamkeit“. „Was ist das?“, frage ich. „Lies doch einfach die Titel!“, quietscht sie. „Endlich ist der Kühlschrank wieder voll. Für den Liebling einen Kuchen backen. Im TV kommt wieder nichts, wenigstens sind die Chips gut. Ein Roastbeef in die Pfanne hauen …“ Das kann doch nicht wahr sein. „Es ist eine CD für Singles“, sagt meine Freundin. „Mit Geräuschen des täglichen Zusammenlebens. Da fühlt man sich nicht mehr allein und ist trotzdem ungestört. So steht es zumindest im Booklet.“ Ich will Probe hören, aber ich ernte nur Kopfschütteln. „Die CD ist bei Gisela im Player. Programmiert auf 3 Uhr 20, Stück 10. Volle Lautstärke. Sie soll doch nichts vermissen.“ Ich schaue auf die Hülle. Nummer zehn heißt: „Jeder muss mal.“ „Und alles im Sonderangebot für 1,99.“ Sie grinst noch breiter. Wir sorgen eben gut für gebrochene Herzen.