Fragt den Kulturtechniker!

Mit „Dieter Speck“ ist das US-Format des „Coaching TV“ in Deutschland angekommen: Ambulante Psychoanalyse mit extragroßen Stühlen fürs Über-Ich (14.10 Uhr, ARD)

Wussten sie schon, dass die ARD inzwischen auch am Nachmittag auf werbeunterstütztes Fernsehen setzt? Am Montag um 14.09 Uhr zum Beispiel warb ein Direktversender für eine „Winterreise in Böhmen“, eingespielt vom seligen Ernst Mosch und seinen Egerländer Musikanten. Der Mann wiederum, der ab 14.10 Uhr durchs Erste analysierte, teilt sich mit Volksmusikikone Mosch den Oberlippenbart. Die randlose Brille aber markiert ihn als einen Menschen von Intelligenz. Von emotionaler Intelligenz, würde Dieter Speck wohl am liebsten hören. Schließlich soll der Diplompsychologe mit der breiten Brust zum Anlehnen der ARD dort weiterhelfen, wo bei Jürgen Fliege nur mehr ritualisiertes Heulen übrig bleibt.

„Coaching TV“ heißt Specks mediale Gesprächstherapie, und in den USA ist das Konzept seit langem ein Renner. Eine Sendung, die sich redlich bemüht, so wenig voyeuristisch wie irgend möglich zu sein – und letztlich genau daran leidet, dass ein solches Format eben per definitionem voyeuristisch ist. Dabei spielt es nicht einmal eine große Rolle, wie authentisch die im maisgelben Studio mit den metaphorisch zu groß geratenen Stühlen (soll hier etwa das Über-Ich Platz nehmen?) verhandelten Konfliktstoffe sind.

Ein unappetitlicher Vorführeffekt stellt sich alleine dadurch ein, dass der grundempathische Herr Speck seinen aus dem viel zitierten Leben gegriffenen Laiendarstellern in so ziemlich allen Kulturtechniken überlegen ist. Kurz gesagt ist es ein Leichtes, telegene Wahrheiten zu verkünden, wenn der in die analytische Mangel genommene Gesprächspartner schon vor einem harmlosen Genitiv in die Knie geht.

„Eigentlich wollen Eltern immer nur das Beste für die Kinder, nur die Kinder haben ihren eigenen Kopf“, formulierte der Freudianer unter den Kummerkasten-Onkels gleich zu Beginn das Motto seiner ersten, dem komplexen Eltern-Kind-Verhältnis nachspürenden „Coaching TV“-Folge. Wahrscheinlich will auch die ARD, ja wahrscheinlich will sogar Dieter Speck nur das Beste für die Zuschauer. Und hoffentlich haben auch die ihren eigenen Kopf. CLEMENS NIEDENTHAL