Bereit für Cottbus II

Als Energie am Ende der letzten Saison abstieg, war nicht nur Trainer Eduard Geyer angeschlagen. Nun hat er sich berappelt – und versucht der Erfolgsgeschichte ein neues Kapitel anzufügen

aus Cottbus FRANK KETTERER

Über die Vorkommnisse zur Pause gab es hernach unterschiedlichste Versionen. „Es war doch klar, dass mein Kollege etwas zu sagen hatte“, mutmaßte Gerd Schädlich, der Trainer vom FC Erzgebirge Aue. „Gar nicht so viel“ sei das gewesen, befand hingegen Laurentiu-Aurelian Reghecampf, zweifacher Torschütze für Energie Cottbus und damit Spieler des Tages. Christian Beeck wiederum, der Kapitän der Lausitzer, konnte sich dunkel daran erinnern, dass sich „ein paar Minuten lang alle angebrüllt“ haben, während Georg Koch in erster Linie die Ausführungen des Trainers im Gedächtnis haften geblieben waren. „Wir haben eine entsprechende Ansage gekriegt“, erzählte der Energie-Torhüter, selbst 45 Minuten später klingelten dem ehemaligen Kaiserslauterer die Trainer-Worte „noch ganz genau im Ohr“. Was kein größeres Wunder zu sein schien, schließlich waren sie laut FCE-Präsident Dieter Krein „so laut“ ausgefallen, „dass jeder sie gehört hat“. „Jetzt hoffe ich, dass sie durch die Gehörgänge ins Gehirn dringen“, sagte Krein pünktlich zum Wiederanpfiff. Seine Hoffnung wurde erfüllt: Cottbus spielte im zweiten Durchgang zumindest engagierter, den Rest besorgte Reghecampf: Das 1:1 schob er nach einer Stunde Spielzeit ein, den Siegtreffer ließ er fünf Minuten vor dem Ende per Freistoßschlenzer folgen. So fiel es am Ende zumindest den Cottbusern nicht sonderlich schwer, sich auf diese Spielanalyse zu einigen: Schlecht gespielt, trotzdem gewonnen. Also: Glück gehabt. Aber: Hauptsache Tabellenspitze verteidigt.

Natürlich wurde später auch Eduard Geyer zum Geschehen im Kabinentrakt befragt. „Erst mal relativ ruhig“, wollte der Energie-Cheftrainer dort zu Werke gegangen sein, sich dann aber doch „ein bisschen reingesteigert“ haben ins eher durchwachsene Spiel seiner Mannschaft. Geyers Augen funkelten kampfeslustig, als er das sagte – und in diesem Moment wusste man endgültig, wie es zugegangen war beim Pausentee.

Eisen-Ede ist zurück. Wobei: So richtig weg war er ja nie, nur nicht mehr ganz so eisern. Der Abstieg hat doch sehr an ihm genagt, ach was: gefressen. Am Ende konnte man das sogar sehen, ziemlich leicht: Schwer und schlurfend war sein Gang, müde und besorgt sein Blick, leise und brüchig seine Stimme. Geyer litt, so wie nur ein Hund leidet – oder ein Mann, der einen Teil seines Lebenswerks in die Brüche gehen sieht, einfach so. Lange hat er damals, letzten Winter, überlegt, ob es überhaupt noch einen Sinn macht mit ihm und Energie – und dann doch entschieden, dass er nicht gehen kann, nicht jetzt, in der Stunde des Niedergangs. Nicht auszudenken, wie alles gekommen wäre, hätte er Cottbus verlassen. Energie braucht Geyer – und vielleicht braucht Geyer auch Energie, ein kleines bisschen zumindest, obwohl er, bärbeißiger Knurrer, der er bisweilen sein kann, das nie zugeben würde. Auf jeden Fall ist Geyer geblieben.

Es hat beiden gut getan. Energie lebt wieder, auch in Liga zwei – und Geyer hat wieder Energie, jede Menge. Am Spielfeldrand hüpft er wieder aufgeregt umher wie weiland Rumpelstilzchen ums Lagerfeuer, zur Pressekonferenz danach erscheint er mit federndem Schritt, den Spielbericht gibt er mit leuchtenden Augen und glühendem Herzen ab. Und dazu perlen ihm Sätze über die Lippen, die in der Form nur Geyer sagt. Am Montagabend, nach dem schwächlichen Sieg gegen Aue, bemängelte der 59-Jährige unter anderem die mangelnde Laufbereitschaft seiner Spieler, was er geschickt mit einer Kulturkritik zur aktuellen Schuhmode verband, die auch in Cottbus Einzug gehalten hat: „Seitdem es solche bunten Schuhe gibt – rote, blaue, silberne – glauben manche, die laufen wie der kleine Muck von alleine.“ Was er über Spieler denkt, die das denken, behält er nicht für sich: „Die haben ’nen Rietz an der Dattel.“

So sind Geyer-Sätze. So ist Geyer, der neue alte Geyer. Auf jeden Fall hart, manchmal bis zum Erbrechen, kompromisslos, natürlich erfolgsorientiert, ein Fachmann zweifelsohne, bisweilen bissig-ironisch, nicht selten kauzig, bestimmt aber auch herzlich, manchmal zumindest, vielleicht wenn keiner zuschaut.

„Er brennt wieder“, sagt Dieter Krein, der Präsident. Krein sagt auch: „Den Charakter eines Menschen kann man nicht austauschen.“ Warum sollten sie auch? Energie ist mit diesem Charakter doch immer gut gefahren, 10 Jahre lang, auch jetzt tun sie das wieder, Cottbus führt die Tabelle an. Natürlich ist ein Absteiger immer auch ein Kandidat für den Aufstieg. Aber es gibt auch andere Fälle: Karlsruhe zum Beispiel, noch mehr Ulm. Davor hatten sie in Cottbus am allermeisten Angst: Wieder im Fußball-Niemandsland der dritten Liga zu verschwinden.

Gut, dass Geyer geblieben ist. Ede wird das nicht zulassen. Den Abstieg, das Ende von Cottbus I, hat er längst verdaut. Jetzt ist er dabei, Cottbus II zu errichten, die Fortsetzung seines Lebenswerks. Leistungsträger wie Christian Beeck, Gregg Berhalter, Marco Latoundji, Vragel da Silva oder Laurentiu-Aurelian Reghecampf sind geblieben, verstärkt wurde die Mannschaft durch Neuzugänge wie Torhüter Georg Koch, Abwehrspieler Ronny Nikol (von Union Berlin) oder den Uruguayer Tanque Silva, mit bisher sechs Treffern Energies treffsicherster Torschütze. Geyer hat aus ihnen eine neue Mannschaft geformt, auch wenn diese noch lange nicht fertig ist.

Wohin das führen kann, soll, muss? „Wir sind zum Aufstieg verdammt“, hat Präsident Krein schon vor der Saison gesagt, schon wegen des Elf-Millionen-Etats, der in Liga zwei kaum ein zweites Jahr finanzierbar wäre. „Unser Mannschaftsgerüst ist sicherlich bundesligatauglich“, pflichtet ihm Klaus Stabach bei, der Manager. Spieler Reghecampf sieht die Mannschaft derzeit zumindest auf Kurs: „Nach dem dritten Spieltag haben wir gesagt, dass der Aufstieg unser Ziel ist. Wenn wir hart arbeiten, können wir das schaffen.“

Und Geyer, was sagt Eduard Geyer dazu, Eisen-Ede? Geyer sagt: „Ich werde es wie immer machen und nicht über den Aufstieg reden. Ich arbeite jeden Tag mit der Mannschaft und kenne ihre Stärken und Schwächen. Der Weg zurück ist so weit und so steinig.“ Dabei lässt er die Augen funkeln. Es wirkt sehr angriffslustig. So wie eh und je.