Sozialdarwinistische Thesen

betr.: „Nie mehr Schlange stehen auf dem Arbeitsamt“, taz vom 5. 11. 03

Das widerliche an diesen „Wirtschaftsexperten“ ist, dass ihre Theorien von im Markt „instrumentell rational handelnden“ Akteuren ausgehen, sie aber durchaus wissen, dass das eine Fiktion ist. So verkaufen sie einerseits die Befreiung von der Pflicht des Einzelnen zur Vorsorge als die Befreiung der Marktteilnehmer von „Bevormundung“. Andererseits ziehen sie ihnen zum Beispiel per Werbewirtschaft nach allen Regeln der Beeinflussungskunst das Fell über die Ohren. Und in diesen Tagen zeigt gerade Spam (auch mit Bedeutung als beträchtlicher Auslaster des Internets), an welchen Henkeln Geschäftemacher glauben, ihre Kunden angreifen zu können.

Im konkreten Fall der Befreiung von der Sozialversicherungspflicht setzen die Wirtschaftsexperten auf die natürliche Tendenz des Menschen, sich lieber schneller zu befriedigen als langfristig vorauszusorgen, besonders, wenn Vertrauen in die Zukunft fehlt und Familien mit knappen Budgets in der Gegenwart schon kaum über die Runden kommen. So kommt kurzfristig schnell Geld in Umlauf.

Und im Hintergrund wirkt dann noch ein bisschen Sozialdarwinismus: Leute, die nicht vorsorgen, verdienen es ja nicht besser. Ihr Geld ist bei überlegeneren Menschen besser aufgehoben.

GÖTZ KLUGE, Tokio, Japan

Da erfährt man en passant und unkommentiert von der Abschaffung der Arbeitslosenversicherung ebenso wie von der Überführung der Krankenversicherung in eine Dienstleistung für Reiche. Welchen Erkenntniswert die Verbreitung von solch konzeptuellem Müll dem Leser bringen soll, bleibt im Artikel offen.

Sofern die Publizierung sozialdarwinistischer Thesen ironisch gemeint war, erschließt sich die Ironie im Artikel leider nicht. Die Thesen der dem Leser wiederholt nur als „führend“ untergejubelten Ökonomen – die dann doch nur die üblichen Verdächtigen sind – wären als „Gurke des Tages“ auf der Wahrheit-Seite wohl besser untergebracht. Für die zukünftige Berichterstattung von „Wirtschaft und Umwelt“ wäre es schön, geneigte taz LeserInnen mehr mit informativ-alternativer Recherche zu verwöhnen, als den Platz mit gesellschaftlichen Terrordrohungen ökonomischer Extremisten zu vergeuden. TARIK AHMIA, Berlin