DER PRAGMATISMUS DER IG METALL WIRD SICH ALS SCHEIN ERWEISEN
: Reizthema Arbeitszeit

Rituale bei Tarifrunden haben ja etwas Sinnvolles: Sie grenzen die Strategien der Verhandlungspartner ein, ordnen und systematisieren den Verhandlungsgegenstand. Und am Ende gibt jede Tarifpartei ein Stück von ihren Forderungen ab. Die ritualisierte Formel der Gewerkschaften: die Kaufkraft stärken und damit das Wachstum stützen! Die Formel der Arbeitgeber: Hohe Lohnabschlüsse verhindern Aufschwung und Beschäftigung!

Beides ist, gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten, in seiner Ausschließlichkeit nicht aufrechtzuerhalten. Das eine nicht, weil der Beschäftigte sein Geld auch ausgeben muss und auf gar keinen Fall sparen darf. Das andere nicht, weil der Unternehmer tatsächlich Personal einstellen muss und auf gar keinen Fall etwa Standorte ins Ausland verlagern darf. Wie gesagt: Es handelt sich nur um Rituale.

Fakt ist: Die IG Metall ist bescheidener geworden. Die Lohnforderung von 4 Prozent ist die niedrigste der vergangenen Jahre. Am Ende werden 2, maximal 2,5 Prozent herauskommen. Damit hätte das neue Führungsduo Peters und Huber einen schwierigen Spagat gemeistert. Nach dem verlorenen Oststreik und der Schlammschlacht um ihre Führung hätte eine überhöhte Forderung gleich zwei Niederlagen gezeitigt. Bei der eigenen Klientel wären Erwartungen geschürt worden, die nicht einlösbar sind. Das kostet Mitglieder. Und in der Öffentlichkeit würden sie mit einem Arbeitskampf den Eindruck verstärken, die Krawallmacher der Nation zu sein. Andererseits hätte eine niedrige Forderung dafür gesorgt, dass das Führungsduo gleich bei seiner ersten Bewährungsprobe das Attribut „schwach“ angeheftet bekommen würde.

Dieser Pragmatismus bei der Lohnempfehlung kann sich aber schnell als Schein erweisen, wenn die IG Metall auch noch über flexible Arbeitszeiten verhandeln muss, wie das die Arbeitgeberseite anstrebt. Das könnte zum eigentlichen Reizthema dieses Winters werden. Bisher will die IG-Metall-Führung dieses Thema komplett aussparen. Sie muss aber aufpassen, dass nicht auch diese Haltung zum Ritual verkommt. THILO KNOTT