Rechtsstaats-Chat mit China

Zwischen E-Commerce und Zensur: Der deutsch-chinesische Rechtsstaatsdialog diskutiert die rechtliche Situation des Internets

aus Berlin SVEN HANSEN

Seit einem Jahr sitzt die Pekinger Psychologiestudentin Liu Di in Haft. Der 23-Jährigen, die sich an Internet-Chatforen unter dem Namen „Maus aus Edelstahl“ beteiligte, wird vorgeworfen, „eine Bedrohung für die Sicherheit des Landes“ zu sein. Beobachter werten ihre Texte dagegen als auch für chinesische Verhältnisse harmlos. Direkte Kritik an der Regierung sei darin nicht erkennbar gewesen.

Auch Pekings Staatsanwaltschaft hielt die von der Polizei vorgelegten Beweise nicht für ausreichend und gab den Fall Anfang November an die Ermittler zurück. Liu blieb aber in Haft. Ist es dennoch ein Fortschritt, dass die Staatsanwaltschaft der Polizei nicht einfach folgte, sondern eindeutige Beweise fordert?

Dies hofft zumindest Kerstin Müller, grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, die bei der Eröffnung des vierten Symposiums des deutsch-chinesischen Rechtsstaatsdialogs am Montag in Berlin den Fall Liu direkt ansprach. Dirk Pleiter, China-Experte von amnesty international (ai), ist pessimistischer. Bereits früher habe die Staatsanwaltschaft Fälle an die Polizei zurückgegeben, wenn eine Verurteilung beschlossene Sache gewesen sei, aber noch hätte nachgebessert werden müssen.

Als Fortschritt wertet Pleiter aber, dass im Rechtsdialog mit China von deutscher Seite offener und direkter die Menschenrechte angesprochen würden. Dies sei bei dem im November 1999 zwischen Bundeskanzler Schröder und Chinas damaligem Premier Zhu Rongji vereinbarten Dialog nicht immer so gewesen. Wie Bundesjustizministerin Brigitte Zypries ankündigte, soll beim China-Besuch des Kanzlers Anfang Dezember ein neues Zweijahresprogramm unterzeichnet werden. Künftig soll es unter anderem um Stadtplanung und Bürgerbeteiligung sowie Immobilienrecht gehen. Bisher beschäftigten sich die Symposien, bei denen sich hochkarätige Juristen austauschen, um China bei der Rechtsstaatsentwicklung zu helfen, vor allem mit wirtschafts- und verwaltungsrechtlichen Fragen. Dies kommt nicht nur deutschen Investoren zugute, sondern soll – so die deutsche Hoffnung – Rechtsbewusstsein stärken und damit den Menschenrechten nützen.

Die Symposien mit bilateraler Ministerbeteiligung wie gestern und vorgestern in Berlin sind dabei die Schaufenster des Dialogs, wenn auch wegen ihres politischen Charakters relativ unergibig. Immerhin: „Derartige Gipfel geben Rückenwind für das Alltagsgeschäft vor Ort“, sagt Immanuel Gebhardt von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ). Die berät seit 1994 mehrere chinesische Ministerien sowie den Nationalen Volkskongress bei der Ausarbeitung von Gesetzen.

Cao Kangtai, Minister des Rechtsamts beim chinesischen Staatsrat, pariert die Kritik im Fall Liu mit den Worten: „Kein Staat wird es dulden, dass durch das Internet Hass und falsche Informationen verbreitet werden, um die Regierung zu stürzen.“ Wie andere chinesische Redner erweckt er den Eindruck, dass Peking das Internet vor allem als Wirtschaftsmotor sieht, „um die sozialistische Marktwirtschaft zu vervollkommnen“, wie es in Caos Parteichinesisch heißt.

Bei den Referaten wurde deutlich, dass auch die Entwicklung der deutschen Rechtsprechung der des Internets hinterherhinkt. Die deutschen Redner konnten auch nicht verhehlen, dass es hier äußerst umstrittene Entscheidungen über die Freiheit im Netz und die Verantwortung etwa von Providern für rechtsradikale oder kinderpornografische Inhalte gab. Als Ministerin Zypries sagte: „Wir haben einen guten Kontakt zu den Providern, und die löschen dann entsprechende Seiten“, dürften sich manche der Chinesen sogar in ihrem Vorgehen bestätigt gefühlt haben.

„Der Rechtsstaatsdialog kann hilfreich sein, ersetzt aber keine Menschenrechtspolitik“ lautet das Fazit des ai-Vertreters Pleiter, der die untergeordnete Rolle der Menschenrechte in dem Dialog bemängelt. Seiner Meinung nach ist die chinesische Seite zur Zeit nicht bereit, konkrete Verbesserungen vorzunehmen. Dazu bräuchte es politischen Druck und offene und öffentliche Kritik. Der Bundespräsident Johannes Rau habe kürzlich in China mit seinen deutlichen Worten Maßstäbe gesetzt. „Wird der Bundeskanzler bei seiner Reise im Dezember die Menschenrechte wie bisher weitgehend ausklammern oder folgt er Rau?“, fragt Pleiter. „Auch bei guten Wirtschaftsbeziehungen ist Menschenrechtskritik möglich.“

Chinas Justiz ging am Montag ihren gewohnten Gang. In einer fünfminütigen Urteilsverkündigung bestätigte Pekings Oberstes Volksgericht im Mai gefällte Haftstrafen von acht bis zehn Jahren gegen vier Internet-Aktivisten, obwohl drei wichtige Zeugen belastende Aussagen widerrufen hatten. Die vier hatten im Web „ein Ende des Monopols der alten Männer“ gefordert. 39 Internetdissidenten sind derzeit in China inhaftiert.