„Das ist ein Milieuunterschied“

Die Theoretiker von Attac kommen bei den pragmatischen Gewerschaftsjugendlichen oft nicht gut an, meint Jan Engelhardt, Gewerkschaftssekretär der IG-Metall-Jugend

taz: Wenn man Jugendliche in den Gewerkschaften nach dem Europäischen Sozialforum fragen würde – wie viele könnten etwas damit anfangen?

Jan Engelhardt: Ich habe keine Zahlen – aber ich nehme fast an, es wäre die Minderheit.

Fährt die Gewerkschaftsjugend mit Attac nach Paris?

Wir fahren als DGB-Jugend. Wir sind ja sowieso Mitglied bei Attac.

Wie klappt die Zusammenarbeit mit Attac?

Unterschiedlich. Sie klappt da sehr gut, wenn wir bei konkreten Projekten zusammenarbeiten. Aber als wir 2002 die Kampagne „Her mit dem schönen Leben“ organisiert haben, wurde deutlich, dass die Lebenswelten zwischen den Gewerkschaftsjugendlichen und den klassischen Attacies – also jungen Akademikern, älteren Friedensaktivisten und politischen Gruppen der 70er- und 80er-Jahre – manchmal auseinander klaffen.

Nach der gemeinsamen Demo letztes Jahr in Köln beschwerten sich einige Attacies, die Gewerkschaftsjugendlichen hätten es nur auf Spaß abgesehen. Was sagen die Gewerkschafter?

Die fanden die Demo zu betulich. Muss eine Demo ein Trauermarsch sein? Die Attac-Kritiker unseres Demozuges mussten sich zum Teil aus den eigenen Reihen anhören, sie hätten eine calvinistische, lustfeindliche Vorstellung vom Leben.

Wo liegt der Unterschied zwischen Attac- und Gewerkschaftsjugendlichen?

In der Herangehensweise an Themen. Unsere Jugendlichen haben sehr konkrete Forderungen – zum Beispiel die Verbesserung der Qualität an den Berufsschulen. Attac steigt abstrakt ein und arbeitet sich dann zum Konkreten vor. Viele theoretische Forderungen konnte nur ein kleiner Teil unserer Jugendlichen nachvollziehen.

Zum Beispiel?

Wenn es sehr allgemein um „Globalisierung“ geht, um „Deregulierung“. Oder wenn abstrakt über Lohnarbeit diskutiert wird. Man hat soziologische Bücher über den Faktor Arbeit gewälzt, aber es fehlt völlig an konkreten Bezügen. Bei unseren Jugendlichen ist das umgekehrt: Die sind tagtäglich mit ganz konkreten Problemen im Betrieb konfrontiert.

Und lassen lieber ihre Funktionäre demonstrieren und bleiben selbst zu Hause?

Das kommt auf die Themen an. Wenn Attac sehr unmittelbar mobilisiert, zum Beispiel gegen Sozialabbau, muss das nicht so sein. Wir haben 2002 in Köln mit Attac immerhin 40.000 überwiegend junge Menschen zum Mitmachen bewegt. Ein großer Teil unserer Mitglieder hat aber gar kein politisches Interesse. Das ist anders als früher. In den Achtzigern hat man Parteien abgelehnt, heute haben die meisten jungen Arbeitnehmer eine große Distanz auch zu sozialen Bewegungen.

Wie äußert sich das?

In einer repräsentativen Umfrage fanden wir einen von 1.042 Jugendlichen, der sich in so etwas wie einer Bürgerinitiative engagiert hat – in dem Fall für eine Skateboardbahn. Es ist bei uns überhaupt nicht verbreitet, in einer selbst organisierten Initiative mitzumachen. Unsere Jugendlichen treffen sich ganz klassisch in Vereinen. Das ist weniger ein bewusstes Abgrenzen als ein Milieuunterschied.

Die alte Kluft zwischen Arbeiter- und Bürgerkindern?

Diese Begriffe gefallen mir nicht. Es ist eben eine völlig unterschiedliche Lebenssituation. Gerade auf die Jüngeren bei uns ist der Druck enorm, ob sie zum Beispiel nach der Ausbildung übernommen werden. Die neigen dann natürlich erst einmal dazu, sich selbst zu schützen, bevor sie sich für andere engagieren.

Wie können sich beide Gruppen annähern?

Sie müssen das behutsam tun. Im Moment habe ich das Gefühl, dass sich die Gewerkschaftsjugendlichen mehr bemühen, die Welt von Attac nachzuvollziehen, als umgekehrt. Einige bei Attac tun das manchmal ab, so nach dem Motto: Ihr interessiert euch für so was Langweiliges wie Berufsbildung und wir machen die große Globalisierung.

INTERVIEW: KATHARINA KOUFEN