Christdemokraten ohne Konzept

Die CDU will die Hauptschulen stärken und fordert den Einstieg in die Ganztagsbetreuung. Ein schlüssiges Gesamtkonzept aber fehlt – und soll erst im kommenden Frühjahr nachgereicht werden

AUS DÜSSELDORFANDREAS WYPUTTA

Der jahrzehntealte Streit um Gesamtschule & Co. geht in die nächste Runde: In den nachrichtenarmen Herbstferien wohl platziert fordert Bernhard Recker, schulpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, eine Aufwertung der Hauptschulen: Die seien von der Landesregierung „gegenüber anderen Schulformen jahrelang vernachlässigt“ worden, so Recker gestern im Düsseldorfer Landtag. Hauptschüler drohten zum „ausgesonderten Restbestand der Gesellschaft ohne berufliche Perspektive“ zu werden. Nötig sei deshalb eine verstärkte Ganztagsbetreuung – alle 735 Hauptschulen Nordrhein-Westfalens müssten Ganztagsschulen werden, fordert der Christdemokrat.

Außerdem gehörten die Lerninhalte auf den Prüfstand: Notwendig sei die Förderung „praktischer Intelligenz“ gerade in Kooperation mit der Wirtschaft. Zu viele Schüler besuchten Realschulen oder Gymnasien, glaubt Recker – in den Hauptschulen sammelten sich deshalb lernschwache Schülerinnen und Schüler, die die Anforderungen der Unternehmen kaum noch erfüllen könnten. Empfehlungen der Grundschulen sollten deshalb verbindlichen Charakter bekommen: Sperren sich Eltern gegen die Hauptschule, sollen die Kinder eine weitere Prüfung ablegen müssen, um eine andere Schule besuchen zu können.

Völlig überzeugt von seinen Vorschlägen ist aber selbst Recker nicht. Ausschließlich Lehrer sollen über die Schullaufbahn eines Kindes entscheiden – dabei liege deren „Diagnosefähigkeit bei Null“. Fortbildungen für Pädagogen müssten deshalb ebenso zur Pflicht werden wie eine leistungsgerechte Bezahlung, die auch der Bildungsexperte der FDP, Ralf Witzel, gestern forderte.

Langfristig steht die CDU aber weiterhin zu ihrer Forderung nach einer Zusammenlegung von Haupt- und Gesamtschulen. Ein zusammenhängendes Gesamtkonzept könne erst im kommenden Frühjahr präsentiert werden, muss Recker einräumen – und erntet schärfste Kritik: „Völlig absurd“ seien die Vorwürfe, das Land fördere die Hauptschulen zu wenig, entgegnet SPD-Schul- und Jugendministerin Ute Schäfer: „Betriebspraktika, die Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, Förder- und Sprachförderkonzepte sind längst Realität.“ Die CDU diffamiere die Arbeit der Lehrerinnen und Lehrer, versuche „sich wieder einmal parteipolitisch auf Kosten der Schulen zu profilieren“, so Schulministerin Schäfer.

Ein schlüssiges CDU-Konzept mahnt auch Sylvia Löhrmann, Fraktionsvorsitzende der Grünen im Düsseldorfer Landtag, an. „Die CDU verweigert sich der Tatsache, dass die Probleme der Hauptschulen ein Teilproblem des gesamten Schulsystems sind“, sagt Löhrmann – und wirbt für das grüne Konzept einer einheitlichen Schulbildung bis zur zehnten Klasse, die dennoch alle Schülerinnen und Schüler individuell fördern soll. „Eine integrative Schule der Vielfalt würde die Probleme an der Wurzel packen“, sagt die bildungspolitische Sprecherin. Wer an die Homogenität einzelner Schülergruppen glaube, könne sich nicht gleichzeitig eine verbesserte Förderung für Hauptschüler stark machen, die doch noch in die Sekundarstufe II wechseln und Abitur machen sollen. „Die von der CDU immer wieder beschworene besondere praktische Begabung gibt es nicht“, ist Löhrmann überzeugt. „Selbst Herr Rüttgers kann Ikea-Regale zusammenbauen“, spielt sie auf Fernseh-Ausflüge des Oppositionsführers an.

Durchsetzbar ist das grüne Konzept der integrativen Schule aber nicht: „Ministerin Schäfer sieht derzeit keine Perspektive für die Einheitsschule“, betont Nina Schmidt, Sprecherin des NRW-Schulministeriums. Nach „jahrzehntelangen Ideologiedebatten“ fehle dazu schlicht ein „gesellschaftlicher Konsens“ – sieben Monate vor der Landtagswahl will die Sozialdemokratin Schäfer die Schulformdiskussion nicht neu eröffnen. Bildungsexpertin Löhrmann aber will weiter für ihr Konzept kämpfen. Zwar gebe es „derzeit in der Koalition keine klare Linie“, räumt sie Spannungen zwischen SPD und Grünen ein. Dennoch werde die integrative Schule „Thema bei den nächsten Koalitionsgesprächen“ – die Grünen wollen mit dem Ende der Selektion bereits nach der vierten Klasse, die oft über Lebenschancen entscheidet, bei den Wählern punkten. Nötig sei deshalb ein Kurswechsel der Sozialdemokraten, ist Löhrmann überzeugt. Die Fraktionsvorsitzende verweist auf das Beispiel Schleswig-Holstein: „Dort ziehen SPD und Grüne mit der Forderung der integrativen Schule in den Wahlkampf. Und beide glauben an den Erfolg.“