Der Bauernaufstand von Eiderstedt

Musterklage zum Naturschutz: Das Verwaltungsgericht Schleswig prüft Klagen von Gemeinden und Landwirten gegen Vogelschutzgebiete, die Schleswig-Holstein ausgewiesen hat. Dabei tat das Land nur, was die EU verlangt hat

Aus SchleswigEsther Geißlinger

Horst Nöhring sitzt im Saal 6 des Schleswiger Verwaltungsgerichts, die Arme über den groben Pullover verschränkt. Manchmal bewegen sich seine Lippen lautlos. Am liebsten würde er aufstehen und sagen, worum es ihm geht: Um seinen Bauernhof im Dörfchen Drage in Nordfriesland, darum, dass er um die Zukunft des Betriebes fürchtet.

Aber verhandelt wird nicht über Einzelhöfe, sondern über ein kompliziertes Geflecht aus Land, Bund und Europa, um Naturschutz auf nationaler und übernationaler Ebene, um „eine Musterklage zum Naturschutz im zusammenwachsenden Europa“, wie Klaus Füßer sagt. Der Anwalt vertritt eine Gruppe von Landwirten und Gemeinden, die gegen das Land klagen wollen – gegen ein Vogelschutzgebiet, das ausgewiesen werden soll.

In den 70er Jahren einigten sich die Länder Europas darauf, ein Netz von Vogelschutzgebieten zu knüpfen. Jeder Staat hatte geeignete Flächen zu melden – die Frist lief 1982 aus. Die damals Kohl-regierte Bundesrepublik gab ein paar Gebiete an, aber viel zu wenige. Das Verfahren ruhte und schien fast vergessen, dann kam es wieder ins Laufen, diesmal mit Volldampf: Deutschland hat eine Mahnung der zuständigen EU-Kommission am Hals.

Der Bundesumweltminister gab den Druck aus Brüssel an die Länder weiter. Das rot-grüne Schleswig-Holstein beeilte sich, Flächen auszuweisen – darunter fast die komplette Halbinsel Eiderstedt mit dem Badeort St. Peter-Ording sowie rund 7.000 Hektar in der Niederung der Flüsse Eider, Treene und Sorge, einem Gebiet, in dem es bereits jetzt schon 13.000 Hektar Naturschutzfläche gibt.

Überplant wurden Bauernland und Gemeindeflächen. Die Landwirte fürchten nun, nicht mehr Herren ihrer Wiesen zu sein. Und sie sagen, dass sie am besten wüssten, was den Vögeln gut tut. Horst Nöhring könnte von seinem Opa erzählen, der mit dem Pflug sorgsam jedes Nest umging. Und er könnte sagen, dass die Zahl der Bodenbrüter sinkt auf den Wiesen, die bereits brachliegen.

So einfach ist es natürlich nicht – das könnten die Mitarbeiter des Naturschutzbundes sagen, die in der Region Vögel zählen und beobachten. Sie wissen, dass Kiebitz, Trauerseeschwalbe und Zwergschwan komplette Biotope brauchen mit kurzem Gras und feuchten Niederungen; dass Bauernland allein nicht reicht. Sie könnten sagen, wenn das Gericht sie fragen würde, dass auf den genormten Wiesen und den behandelten Äckern immer weniger Insekten summen. Sie könnten den Bauern erklären, dass es nicht darum geht, ganze Landstriche brachliegen zu lassen, sondern dass aus Sicht des Naturschutzes beides da sein muss, das wilde Biotop und die gemähte Weide. Sie könnten darauf hinweisen, dass die Landesregierung Geld für naturnah bearbeitete Flächen zahlen will – aber das sind Argumente, die die Bauern nicht hören wollen.

Die Landwirte und Gemeinden, die Anfang des Jahres mit dem Thema konfrontiert wurden, haben sich zusammengetan und eigene Gutachten in Auftrag gegeben, die die NABU-Zahlen bezweifeln. Gestern vor Gericht ging es weder um die Bedürfnisse der Kiebitze noch um die Ängste der Bauern. Es ging um juristische Fachfragen: Darf geklagt werden, auch wenn der Rechtsstatus des Gebietes noch nicht feststeht? Gibt die EU-Kommission ein fälschlich gemeldetes Gebiet wieder frei? Welche Rechtsnormen können angewendet werden?

Von der Antwort hängt ab, ob das Hauptverfahren eröffnet wird. Dann darf irgendwann vielleicht Horst Nöhring von seinem Hof erzählen. Oder auch nicht. Denn für Juristin Petra Krings, die das Land Schleswig-Holstein in dem Verfahren vertritt, steht eines fest: „Egal vor welchem Gericht am Ende verhandelt wird – entscheiden werden rein ornitologisch fachliche Gründe.“