ISRAELS PARLAMENT ZU ABZUG AUS DEM GAZA-STREIFEN BEREIT
: Abfuhr für die Siedlerlobby

Hat das israelische Parlament eine historische Entscheidung getroffen? Zumindest ist gestern der Grundstein dafür gelegt worden. Israels Premierminister Ariel Scharon geht mit seinem Plan, den Gaza-Streifen nahezu komplett aufzugeben und die jüdischen Siedlungen räumen zu lassen, deutlich weiter als alle seine Vorgänger – der ermordete Premierminister und Friedensnobelpreisträger Jitzhak Rabin inbegriffen. Ob die schwierigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament und in der eigenen Partei ihm auch die Umsetzung seines Planes erlauben, bleibt vorläufig abzuwarten.

Scharon wirkt überzeugend, wenn er vom Schmerz der Siedler spricht, die ihre Häuser werden verlassen müssen, und wenn er diejenigen unter den Siedlern kritisiert, die einen „messianischen Komplex“ entwickelt hätten. Der einstige „Bulldozer“, der als Bauminister zigtausende Neubauten im besetzten Gebiet errichten ließ, nimmt aus pragmatischen Gründen Abschied vom Gaza-Streifen, an dem festzuhalten keinen Sinn macht. Zumal ein Festhalten auch für die keinen Sinn macht, die um die Sicherheit der israelischen Bürger besorgt sind. Trotzdem besteht kaum Grund zur Euphorie, denn es gibt kein Abkommen. Die Einseitigkeit des Prozesses birgt viele Gefahren. Militante Widerstandsgruppen im Gaza-Streifen ringen schon jetzt um die Lorbeeren, das siegreiche Lager zu sein, dem es augenscheinlich gelungen ist, die israelischen Truppen in die Flucht zu schlagen. Eine Missinterpretation, die für alle weiteren Entwicklungen fatale Folgen haben kann.

Kritiker der israelischen Regierung fürchten umgekehrt, dass Gaza aufgegeben wird, um das Westjordanland zu halten. Ob der Geltungsbereich der palästinensischen Selbstbestimmung auf den Gaza-Streifen reduziert bleibt, hängt aber weniger von Plänen der israelischen Regierung ab als vielmehr von den Palästinensern. Sollte das Projekt gelingen und der Terror im nicht länger besetzten Gaza-Streifen eingestellt werden, dann wird in Israel der Druck auf die Regierung steigen, den Palästinensern weitere Zugeständnisse zu machen. Das wäre hoffentlich dann auch der Zeitpunkt, an dem die internationale Gemeinschaft sich dem Nahostkonflikt wieder zuwendet. SUSANNE KNAUL