Kampf um den Gaza-Streifen an zwei Fronten

Kundgebungen jüdischer Siedler begleiten die Parlamentsdebatte über Israels Abzug. 17 Tote bei Gefechten

JERUSALEM taz ■ Israels Premierminister Ariel Scharon kämpft eine seiner schwersten Schlachten an zwei Fronten gleichzeitig. Während die zweitätige Parlamentsdebatte zum Abzug aus dem Gaza-Streifen gerade anlief, starben in Khan Younis, im Gaza-Streifen, 17 Palästinenser bei schweren Gefechten mit israelischen Soldaten. Die 30-stündige Invasion steht im Zusammenhang mit dem Abzug, der, wie Kritiker fürchten, als Schwächezeichen ausgelegt werden und den Terror forcieren könnte. „Wir haben die Stärke, dieses Land zu verteidigen und den Feind zu schlagen“, betonte Scharon vor dem Parlament. Im Vorfeld der Abstimmung zeichnete sich eine klare Mehrheit für den Premierminister ab.

Immer wieder von Zwischenrufen unterbrochen hielt Scharon seine vielleicht bedeutendste Rede und erklärte, dass Israel ohne geeignete Streitkräfte keine Chance habe, „in dieser Region zu überleben, die keine Gnade gegenüber dem Schwachen zeigt“. Dennoch habe ihn seine Erfahrung gelehrt, dass „mit dem Schwert allein dieser bittere Streit nicht entschieden werden kann“. Der Abzugsplan sei kein Ersatz für Verhandlungen. Gleichzeitig werde die Aufgabe des Gaza-Streifens „Israels Gewalt über Gebiete, die für unsere Existenz entscheidend sind, stärken“. Vor allem aus dem rechten Lager kam die Aufforderung: „Geh nach Hause“ sowie „Juden dürfen nicht vertrieben werden“.

Schimon Peres, Chef der Arbeitspartei, die mit dem Plan, den Scharon nun als seinen eigenen vorantreibt, bei den vergangenen Parlamentswahlen gescheitert war, mangelte es an Überzeugungskraft. „Schmerzlich für die Siedler?“, frage er polemisch und setzte hinzu: „Schmerzlich auch für die Mütter, die ihre Söhne zum Dienst an der Waffe in den Gaza-Streifen schicken.“ Die Rede des Oppositionschefs war weniger spektakulär, schließlich blieb sich Peres treu. Er hatte schon Wochen vor der Abstimmung Scharon die Unterstützung seiner Partei für den Abzugsplan versprochen.

Vor den Türen des Parlaments versammelten sich unterdessen tausende Kinder und Jugendliche. Die Schulen in den jüdischen Siedlungen blieben gestern geschlossen. Der „Sonderunterricht zum Thema Demokratie“ fand in Jerusalem statt. Die neunjährige Schachar, Tochter von Benzi Liebermann, Vorsitzender des Siedlerdachverbandes „JESCHA“ (Initialwort für Judäa, Samaria und Gaza), erklärte: „Wir sind hier, um die Räumung von Gusch Katif zu verhindern. Die Regierung darf niemanden aus seinem Haus vertreiben.“ Ein zwölfjähriges Mädchen, das bei einem Anschlag im Gaza-Streifen beide Beine verloren hat, wandte sich an die Soldaten, die ihr „zum zweiten Mal das Leben zerstören“ würden, wenn sie ihr Elternhaus räumten.

Seit Anfang der Woche wurden auf Gusch Katif mindestens 50 Mörserraketen abgeschossen. Die Armee reagierte mit einer massiven Invasion und tötete innerhalb von zwei Tagen 17 Palästinenser, darunter mindestens sechs Zivilisten. Gestern früh zogen sich die Truppen wieder zurück. SUSANNE KNAUL

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