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: Die Rechtlosen von Guantánamo Bay dürfen hoffen. Auch der Bundestag ist gefordert

Ausgerechnet die Richter des Obersten Gerichtshofes, jene sieben Männer und zwei Frauen, die George W. Bush erst durch ihre umstrittene Entscheidung gegen eine Wahlnachzählung in Florida ins Amt brachten, ausgerechnet sie könnten dem Präsidenten nun eine Niederlage bescheren. Überraschend haben sie einer Anhörung zugestimmt, um zu entscheiden, ob die Afghanistan-Gefangenen, die ohne Anklage im US-Stützpunkt Guantánamo auf Kuba inhaftiert sind, vor US-Gerichten klageberechtigt sind. Dies wäre schlecht für Bush, aber es wäre eine Chance für die Demokratie – nicht nur in den USA.

Doch noch ist keine Zeit für so viel Pathos. Denn zunächst geht es nur um die Frage, ob die US-Rechtsprechung auch für die von Kuba gepachtete Bucht von Guantánamo gilt. Über die unmenschlichen Verhältnisse dort wird noch längst nicht verhandelt. Außerdem kann das Verfahren auch eine ganz andere Richtung nehmen: Bestätigen die konservativen Richter die Rechtsauffassung der Bush-Regierung, wird es für Menschenrechtsgruppen noch schwieriger, gegen die Praxis in Guantánamo vorzugehen.

Deshalb bleibt es eine politische Aufgabe, die Rechtlosigkeit der dort Festgehaltenen zu beenden. Dies gilt auch für all diejenigen Regierungen, die den so genannten Krieg gegen den Terror unterstützen. Vor allem solche Staaten stehen in der Pflicht, die – wie Deutschland durch den Einsatz von Bundeswehr-Spezialeinheiten in Afghanistan – an der Festnahme von Guantánamo-Häftlingen zumindest indirekt mitgewirkt haben. Das Bundestagsmandat zur Mission „Enduring Freedom“, das in dieser Woche verlängert werden soll, schreibt ausdrücklich fest, dass der Militäreinsatz dazu dienen soll, Terroristen „vor Gericht zu stellen“. Der Bundestag hat nicht beschlossen, dass die Bundeswehr dabei helfen soll, wahllos aufgesammelte Verdächtige irgendwo rechtlos vom US-Militär wegschließen zu lassen. Deshalb müsste das Parlament alles unternehmen, um den Gefangenen von Guantánamo elementare Menschenrechte zu verschaffen.

Dies könnte dann tatsächlich ein Beitrag zur Eindämmung des Terrorismus sein. Denn in vielen Teilen der Welt gilt die amerikanische Demokratie noch immer als Vorbild für eine rechtsstaatliche Gesellschaftsordnung. Schaffen die USA aber ihre politischen Grundpfeiler durch die Missachtung elementarer Rechte selbst ab, dann gefährden sie auch die Hoffnung auf Demokratie in anderen Ländern. ERIC CHAUVISTRÉ

ausland SEITE 9