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Träume eingeschränkter Handlungsfreiheit zwischen Ausfahrt, Wiederkehr, Dämonie und Erotik: Die Ausstellung „Menschen Am Meer“ zeigt Küstenlandschaften aus Sicht des Städters Max Beckmann im Bucerius Kunst Forum

aus Hamburg Hajo Schiff

Malerei ist im Kunstbetrieb derzeit wieder angesagt und so darf auch derjenige Deutsche, der sein ganzes Leben der Figuration treu blieb, schon deshalb mit besonderem Interesse rechnen.

Aus dem gewaltigen Werk von Max Beckmann hat das Bucerius Kunst Forum am Hamburger Rathausmarkt sich in seiner aktuellen Ausstellung des Themas „Menschen am Meer“ angenommen. Dabei ist es amüsant nachzurechnen, wie für die nur etwa 600 Quadratmeter große Ausstellungsfläche eine mittagspausenfähige Ausstellung zugeschnitten wird: Es gibt etwa 800 Bilder Beckmanns, ein Drittel davon sind Landschaften, und wiederum ein Drittel von diesen haben mehr oder weniger mit dem Meer zu tun. Etwas mehr als ein Drittel davon ist jetzt aus aller Welt hier versammelt.

Für den Gastkurator Klaus Gallwitz, ehemals Direktor des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt, ist es seine elfte Beckmann-Ausstellung. Er ließ dafür die Räume des Bucerius Kunst Forums sommerlich hell ausleuchten und interpretiert die Mosaikrotunde des ehemaligen Reichsbank-Kassensaals nun als freundlichen Strandpavillon.

Von spätimpressionistischen frühen Bildern, die sich Paul Cezanne und Claude Monet zum Vorbild nehmen, bis zu einer mythisch aufgeladenen Strandszene aus dem Todesjahr 1950 sind Bilder zu sehen, in denen das Meer zwischen Dämonie und Erotik eine Rolle als Projektionsfläche von Wünschen und Ängsten spielt. Besonders deutlich wird dies im Beziehungsbild „Der kleine Fisch“ von 1933 mit seiner unterschwelligen Erotik, übrigens eines der ersten Ankäufe eines deutschen Malers für das Pariser Musée du Jeu de Paume.

Das sommerlich leichte Bild wurde überraschenderweise beim Skilaufen entworfen: Ein deutlicher Hinweis darauf, wie sehr auch Landschaft bei Beckmann nur eine gestaltete Form ist, die keineswegs real an den abgebildeten Ort gebunden ist. Beckmann sieht die Landschaft immer als Städter, sagt Ortrud Westheider, die Kuratorin des Bucerius Kunst Forums, die schon 1998 in der Kunsthalle für die Ausstellung von Beckmanns Landschaftsbildern verantwortlich zeichnete.

Das Meer mit seinem weiten Horizont ist das Symbol für Ausfahrt und Wiederkehr, auch für die Lebensreise. So zeigt eines der kleinsten Bilder Beckmanns den Blick aus einem Bullauge auf einen schrägen Horizont, und bei dem an einem Ballon über dem Meer abenteuerlich ins Ungleichgewicht geratenen „Luftakrobaten“ scheint sich die Labilität des Künstlerlebens zu manifestieren.

Seltsamerweise zieren das Bild von 1928 bereits die Flaggen der beiden späteren Exilländer Beckmanns: die Niederlande und die USA. Aber das Meer wird auch zum Traum von dem, dessen Handlungsfreiheit stark eingeschränkt ist: So entstehen im siebenjährigen Exil im Amsterdamer Atelier viele Bilder der Riviera nur aus der Erinnerung oder nach Fotos und Postkarten.

Die Übersichtlichkeit der Ausstellung ermöglicht es, das 1950 gemalte Bild der Bucht von San Francisco direkt mit der „Großen Buhne“ von 1905 zu vergleichen: Sind es hier die Hochhäuser, die das Meer bedrängen, waren es einst die monumentalisierten Balken des Steges – und so schließt sich ein stets dem heroischen zugeneigter Werk- und Gedankenkreis.

Max Beckmann. Menschen am Meer, Bucerius Kunst Forum, Rathausmarkt 2, Hamburg; täglich 11–19 Uhr; bis 1. Februar 2004; Vortrag von Prof. Werner Hofmann: Beckmann und Frankreich, 25. November, 20 Uhr