Allein mit der Angst

Klinikum Nord weist mit einem Symposium auf massive Mängel bei der Behandlung von MigrantInnen hin. Sprachliche und kulturelle Barrieren

„Ein Arzt kann Patienten auch bei schwerer Erkrankung nicht schützen“

von ELKE SPANNER

Studien belegen, dass MigrantInnen medizinisch oft falsch behandelt werden: Sie bekommen Medikamente, obwohl ein therapeutisches Gespräch ihre Beschwerden lindern könnte. Zugleich müssen sie aufwendige Untersuchungen über sich ergehen lassen, weil der Arzt die Schilderung ihrer Symptome sprachlich nicht versteht.

Zugespitzt ist die Problematik bei Zuwanderern, die unter psychischen Problemen leiden und auf andere Behandlungen als die Einnahme von Tabletten angewiesen sind. Obwohl aber die Problematik wissenschaftlich belegt ist, ist das Gesundheitssystem laut Marianne Röhl, Psychiaterin im Klinikum Nord, nicht auf die Integration von MigrantInnen eingestellt. Um die Defizite zu erkennen, veranstaltet die Klinik morgen ein Symposium zu „transkultureller Psychiatrie und Migration“.

Die genaue Diagnose und Behandlung von AusländerInnen ist schon durch sprachliche Barrieren erschwert. DolmetscherInnen sind beim Arztbesuch in der Regel nicht dabei. Viele Zuwanderer bringen stattdessen zum Übersetzen Angehörige mit – was gerade bei psychischen Behandlungen hochproblematisch ist. Laut Röhl haben viele MigrantInnen auch eine andere Art, über ihren Körper zu sprechen. So käme es vor, dass ein Türke von Kopfschmerzen statt von seinen Depressionen erzählt, was eine aufwendige neurologische Untersuchung statt einer Psychotherapie zur Folge hat.

Zu den sprachlichen kommen kulturelle Missverständnisse. Psychologin Angela Moßler-Schelling hatte einmal eine Frau in Therapie, die von der Geburtsstation des Allgemeinen Krankenhauses Nord in die psychiatrische Ambulanz überwiesen worden war. Es hieß, sie sei schizophren, weil sie nach der Entbindung unverständlich geredet habe. Im therapeutischen Gespräch erzählte die aus einem afrikanischen Land stammende Frau dann von schweren Angstzuständen auf der Geburtsstation. Nach der Entbindung lag sie allein in einem Raum – während sich in ihrem Herkunftsland die ganze Familie, Ärzte und Hebammen um das Bett der Gebärenden versammeln.

Laut Psychiaterin Röhl sind bei der Behandlung von MigrantInnen stets mehrere Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen die kulturellen Unterschiede im Umgang mit Körper und Krankheit. Zum anderen der Grund, aus dem jemand sein Herkunftsland verlassen hat. Wichtig ist zu erfahren, ob es aus einer Notsituation heraus geschehen ist – und ob der Patient trotzdem die Möglichkeit hat, seine Familie zu besuchen, oder diese nie wiedersehen kann.

In der Psychiatrie des Klinikum Nord werden inzwischen Fortbildungen für die ÄrztInnen und PflegerInnen durchgeführt. Entwickelt wurden zudem Qualitätsstandards zur psychiatrischen Begutachtung von AusländerInnen. Denn von der Ausländerbehörde werden Atteste immer wieder als Gefälligkeitsgutachten abgetan. Zudem haben die MitarbeiterInnen der Klinik einmal einen Rechtsanwalt eingeladen, um sich etwa darüber zu informieren, ob PatientInnen zur Abschiebung von der Station geholt werden können. Dessen Antwort lautete ja, und das war, was Psychologin Moßler-Schelling schockiert hat: „Es beunruhigt die PatientInnen, zu erleben, dass ein Arzt sie auch bei schwerer Erkrankung nicht schützen kann.“