in fußballland
: Die Kunst des Lügens

CHRISTOPH BIERMANN über Trainer und deren besonderes Verhältnis zur Wahrheit

Als Journalist wird man generell viel belogen, das ist als Sportjournalist nicht anders, schon gar nicht, wenn es um Fußball geht. Otto Rehhagel hat bereits vor vielen Jahren die Pressekonferenz genannte Zusammenkunft zwischen Trainern und Berichterstattern nach Fußballspielen als „Märchenstunde“ deklariert. Damit wollte er sagen, dass die Auskünfte, die er dort gibt, nur in einem lose assoziativen Verhältnis zur Wahrheit stehen, und viele von Rehhagels Kollegen halten diese Idee für die richtige.

Nun gibt es bekanntlich verschiedene Varianten und Abstufungen des Lügens, die vom Erzählen eindeutiger Unwahrheiten bis zur Aussparung unangenehmer Wahrheiten gehen. Eine von mir besonders geschätzte Spielart ist die in Vertraulichkeit verpackte Lüge. Derlei geschieht gelegentlich bei „Hintergrundgesprächen“ mit Trainern oder Managern. Die Geste dazu ist eine der Kumpanei, die durch Bemerkungen wie „das ist jetzt aber nicht zum Schreiben“ oder „nur für den Hinterkopf“ hergestellt wird. Sie soll suggerieren, dass wir uns hier im Bereich der offenen Wahrheit befinden, von dem wir beide wissen, dass es ihn sonst nicht gibt.

Dadurch gewinnt das in dieser Situation gesprochene Wort eine besondere Bedeutung, lässt aber die Verführung zur Lüge größer werden. Wird nämlich an dieser Stelle die Unwahrheit gesagt, ist sie mit dem Etikett einer besonders wahren Wahrheit versehen. Es gibt echte Künstler in diesem Metier, die ich leider nicht benennen kann, weil sie dann wissen, dass ich sie als solche erkannt habe. Und hinterher erzählen sie mir wirklich die Wahrheit und ich merke es nicht mehr.

Teil des ganzen Hintergrundwesens ist auf Seiten der Manager, Trainer oder Spieler die Spekulation auf die Eitelkeit der Reporter. Schließlich sind derlei angebliche Vertraulichkeiten eine Währung unter Journalisten, die nur zu gerne ihr vermeintliches Geheimwissen zu einem Herrschaftswissen unter Kollegen machen. In Gesprächen über die Situation von Borussia Soundso oder des FC Irgendwo werden dann kunstvoll ernsthafte Mienen mit einem „Das kannst du mir schon glauben“ oder „Das weiß ich aus einer guten Quelle“ garniert. Blöd nur, wenn man irgendwelchem Unsinn aufgesessen ist.

Mein momentaner Lieblingslügner ist Peter Neururer. Der Trainer des VfL Bochum verbreitet schon seit Wochen in aller Offenheit hinreißende Unwahrheiten über seinen Mannschaftskapitän Darius Wosz. Der ehemalige Nationalspieler kickt sich zumeist einen grausamen Stiefel zurecht, nur manchmal hat er noch große Tage.

Fußballlehrer Neururer aber legt seine ganze Wortmacht ein, und die ist bei ihm ja durchaus vorhanden, um Wosz immer wieder eine irgendwie gute Leistung zu attestieren. Als er einmal besonders schlecht spielte, erfand Neururer im Nachhinein sogar eine taktische Aufgabe für ihn, nach der Wosz nicht spielerisch hätte glänzen können, weil er Kärrnerarbeit in den Untiefen des defensiven Mittelfelds hätte absolvieren müssen.

An dieser Stelle gab es zwei Möglichkeiten. Entweder hätte man das als eine offene Beleidigung durch den Trainer interpretieren können, weil er einen für dumm genug hielt, einen so hanebüchenen Unsinn aufzutischen. Oder man machte es wie der Kollege, der lächelnd sagte, dass er es echt gut finden würde, wie Neururer immer wieder die schützende Hand über einen der verdientesten Spieler seiner Mannschaft hielt.

Da musste dann auch Neururer breit grinsen und konnte schon eine Woche später sein Habe-ich’s-euch-nicht-gesagt-Gesicht aufsetzen, nachdem Wosz ausnahmsweise ganz toll gespielt hatte. So geht das nun schon lange hin und her, und die Fragen nach der Leistung der ehemaligen „Zaubermaus“ werden von Seiten der Reporter bereits mit einem ironischem Gestus gestellt.

Inzwischen weiß ich nach einem Hintergrundgespräch aber, was Sache ist. Das ist zwar nur für meinen Hinterkopf und leider nicht zum Schreiben, aber man muss mir schon glauben, dass Neururer die Sache richtig angeht, ich habe es nämlich aus einer guten Quelle.