„Das ist eine Ideologisierung der Shoah“, sagt Herr Fischler

Wenn man alle einst Belasteten vom Mahnmalbau ausschließen wollte, könnten die Deutschen keins bauen

taz: Herr Fischler, Sie haben sich intensiv mit der Firmengeschichte der Degussa in der NS-Zeit beschäftigt. Da haben Sie sicher Verständnis dafür, dass man Rücksicht auf die Gefühle von Holocaust-Überlebenden nimmt und darauf verzichtet, diese Firma am Bau des Holocaust-Mahnmals zu beteiligen?

Hersch Fischler: Ich kann verstehen, wenn einige Opfer diese Gefühle äußern. Ich frage mich aber, ob es richtig ist, diese Gefühle zur Richtlinie zu nehmen.

Welche andere Richtlinien gäbe es denn?

Eine Firma wie die Degussa, die als Aktiengesellschaft viele Shareholder und Stakeholder hat, kann man nicht kollektiv verantwortlich machen. Es hat keinen Sinn, Degussa als Firma schuldig zu sprechen, aber nicht zu untersuchen, welche Aktionäre und Manager damals Verantwortung trugen.

Sicher, nur wenn ein Holocaust-Überlebender in Berlin des Massenmords gedenken will, aber nicht zum Mahnmal geht, da er es durch die Degussa-Beteiligung als beschmutzt ansieht: Da kann man sich das ganze Mahnmal sparen.

Nein. Menschen mit diesem Verhalten wird es immer geben bei jeder Konstruktion eines Mahnmals. Es werden manche nicht hingehen, weil es auf diesem Gelände steht. Andere denken, die Deutschen hätten nicht ein solch monumentales Denkmal bauen sollen, da es zu sehr an Tannenberg erinnert. Juden, wenn sie gläubige Juden sind (und andere sind ja im Grunde keine Juden), brauchen kein solches Monument, um zu gedenken. Das ist ja für die Deutschen und von den Deutschen.

Sie sind selber jüdischer Herkunft. Funktioniert das Denkmal für Sie?

Ich fürchte, es wird nicht funktionieren. Aber es geht mir weniger um das Denkmal. Es ist jetzt beschlossen durch den Bundestag, man baut es bereits. Wenn man die Rolle der Degussa diskutiert, dann sollte man nicht nur ein Monument schaffen und sich an dem Namen Degussa wie einem Mantel festhalten, sondern eben daran erinnern, was damals geschehen ist. Qualifiziert aber ist dies nur möglich, wenn es wissenschaftlich geschieht. Das aber wird bei der Degussa nicht gewährleistet.

Ein Argument der Befürworter einer Degussa-Beteiligung ist ja, dass sich dieses Unternehmen immer vorbildlich um seine Vergangenheit gekümmert habe und auch führend bei der Zwangsarbeiter-Entschädigung gewesen sei.

Das ist leider nicht zutreffend. Das habe ich auch in einen Brief an Bundestagspräsident Wolfgang Thierse geschrieben. Die Degussa hat die Forschung 1997 eingeschränkt, indem sie den Archivzugang für die Historiker gesperrt hat, die nicht von ihr beauftragt wurden. Die beiden Historiker, die nun fast sieben Jahren für die Degussa arbeiten, haben noch immer keine Abschlussberichte vorgelegt – im Gegensatz zu anderen Firmen, die später anfingen.

Nach dieser Logik aber kann man praktisch kein deutsches Chemieunternehmen am Bau des Holocaust-Mahnmal beteiligen. Denn direkt oder indirekt waren sie über ihre Vorgängerfirmen alle am Judenmord beteiligt, und richtig aufgearbeitet ist das bei keinem.

Wenn man sich an den Firmenmänteln festhält, kann man wahrscheinlich in der Tat kein deutsches Unternehmen nehmen. Wenn man das Prinzip der Erbsünde einführt, kann man dieses Denkmal gar nicht von den Deutschen bauen lassen. Weil es immer möglich ist, dass irgendjemand Vorfahren hatte, die am Judenmord beteiligt waren. Ich halte das für völlig unsinnig. Wenn man das Denkmal baut, kann man die heutige Degussa mitarbeiten lassen. Übrigens haben jüdische Mitarbeiter der internationalen Flüchtlingsorganisation IRO 1947 Reste des so genannten Melmer-Golds, also des Raubgolds aus KZs, bei Degussa einschmelzen lassen. Dies war am billigsten und sichersten.

Auch Ignatz Bubis hat relativ kurz nach dem Krieg Goldgeschäfte mit Degussa gemacht. Das hebt aber nicht das bereits genannte Argument auf, dass eine Beteiligung von Degussa Holocaust-Überlebende verletzen könnte.

Ich habe Herrn Bubis nie vorgeworfen, dass er diese Geschäfte, die doch anders waren als die der IRO, gemacht hat, sondern dass er in Sachen Degussa befangen war und die Archivsperrung billigte. Ich bin dagegen, Degussa auszuschließen. Solches Vorgehen resultiert aus einer Ideologisierung und Instrumentalisierung der Shoah.

Instrumentalisierung wofür?

Für materielle und politische Zwecke von Organisationen.

Jüdischen Organisationen?

Von jüdischen und nichtjüdischen Organisationen und Rechtsanwälten.

Da kommen Sie in ziemliche Nähe zu Rechtsextremen, die behaupten, der Holocaust werde von jüdischen Organisationen benutzt, um Deutschland auszupressen.

Nein, die Forderungen nach Entschädigung für das Raubgold richteten sich nicht an Deutschland, sondern an die Schweiz. Und es gab dabei ein großes Zögern jüdischer Organisationen, weitere Forderungen auch an die Deutschen zu stellen. Es waren ja die Anwälte, die das Zwangsarbeiter-Thema gegen den Willen der jüdischer Organisationen auf die Tagesordnung gebracht haben. Diese rechtsextremen Theorien einer jüdischen Verschwörung sind falsch.

INTERVIEW: PHILIPP GESSLER