Volksuni Attac mit neuem Auftrag

Sozialabbau ist für die Globalisierungskritiker das Thema der Stunde. Und das nicht nur auf dem Europäischen Sozialforumin Paris. Attac startet eine Kampagne gegen Kürzungen und Einschnitte und entwirft ein Gegenprogramm zur Agenda 2010

aus Berlin HANNES KOCH

Attac nimmt einen neuen Anlauf. Mit ihrer Kampagne „Genug für alle“ wollen sich die Globalisierungskritiker verstärkt in die Debatte um die rot-grünen Sozialgesetze einschalten. Ziel ist darzustellen, dass die Agenda 2010 von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) keinen Sachzwang darstellt. Peter Wahl vom Attac-Koordinierungskreis formuliert das zentrale Anliegen so: „Umverteilung von oben nach unten, von Privateinkommen zum Staat.“

Die rot-grüne Bundesregierung praktiziert in den Augen der Globalisierungskritiker das Gegenteil. Mit der Reduzierung der Arbeitslosenhilfe auf Sozialhilfeniveau und der Pflicht zur privaten Versicherung des Krankengeldes und der Zahnbehandlung treffe Rot-Grün die ärmeren Schichten. Dazu freilich bestehe – anders als suggeriert – keine Notwendigkeit. Keinesfalls herrsche ein grundsätzlicher Geldmangel, der Sozialkürzungen unausweichlich mache. Das Problem sei vielmehr, dass der Staat die Wohlhabenden mit Steuern und Sozialabgaben nicht entsprechend zur Kasse bitte. Beispiel Sozialversicherung: Anstatt die Privatisierung von Gesundheitsrisiken fortzusetzen, fordert Sven Giegold vom Attac-Koordinierungskreis eine Bürgerversicherung nach dem Prinzip „Alle mit allem für alle“. Soll heißen: Alle Bürger wären verpflichtet, einen prozentualen Anteil ihres gesamten Einkommens einzuzahlen. Heute sind ganze Bevölkerungsgruppen wie Selbstständige und Beamte von der Mitgliedschaft in der gesetzlichen Sozialversicherung befreit. Auch auf Einkommen aus Kapital, Zinsen, Dividenden und Aktienverkäufen werden keine Beiträge erhoben. Die Diskussion über die Bürgerversicherung wird zwar auch zwischen SPD und Grünen geführt. Selbst in der Union gibt es Stimmen, die sie nicht ablehnen. Doch einen wirklich großen Wurf als Alternative zur Strategie der Sozialkürzungen traut Attac beiden Seiten nicht zu.

In der Steuerpolitik wollen die Globalisierungskritiker die Entwicklung der vergangenen Jahre umkehren. Giegold verweist darauf, dass die Steuerbelastung für Kapitalbesitzer und Unternehmen permanent zurückgeht, während die Steuern für die Beschäftigten steigen. Eine Arbeitsgruppe will einen Forderungskatalog für ein gerechtes Steuersystem formulieren.

Aber auch hier halten die Globalisierungskritiker nicht alles für schlecht, was Rot-Grün tut. Die Anregung von Grünen-Chef Reinhard Bütikofer, Steuerflüchtlingen mit dem Entzug des Passes zu drohen, hält Giegold für gar nicht so übel. In den USA werde das schon so gemacht.

Die Kampagne „Genug für alle“ knüpft an die Gesundheitskampagne der Globalisierungskritiker an, die bei Attac als gescheitert betrachtet wird. „Damals fehlte uns der Gegner“, so Giegold. Attac sei ins Leere gelaufen, weil die genauen Pläne noch nicht bekannt gewesen seien. Das sei jetzt anders. Trotzdem werden die Erwartungen hinsichtlich möglicher Erfolge gedämpft. Angesichts der faktischen großen Koalition in Bundestag und Bundesrat sei es illusorisch, schnelle Änderungen zu erzwingen. Attac will deshalb eine „längerfristige Debatte“ initiieren und in einen „Diskurs mit der Bevölkerung“ eintreten. Auch das hat die außerparlamentarische Opposition gelernt: Ihre Argumente sind nicht unbedingt Mehrheitsmeinung.