„Forschungsgemeinschaft hat sich gleichgeschaltet“

Widerstand gegen das Nazi-Regime gab es auch aus der deutschen Wissenschaft kaum. Lothar Mertens hat in seiner aktuellen Veröffentlichung erforscht, welche Wissenschaftler von den Nazis gefördert wurden und wie sie nach dem Ende des Regimes weiterforschen konnten

In einem Akt des vorauseilenden Gehorsams schaltete sich die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) schon kurz nach der Machtübernahme der Nazis 1933 selbst gleich und überprüfte Stipendienbewerber nach politischen und rassischen Kriterien. In seinem jetzt erschienenen Buch „Nur politisch Würdige“ geht Privatdozent Lothar Mertens (45) von der Fakultät für Sozialwissenschaften der Ruhr-Universität Bochum den bislang unbeantworteten Fragen auf den Grund, wie die Forschungsförderung der DFG nach 1933 ablief, wer und welche Themen gefördert wurden und welche Kriterien bei der Stipendiatenauswahl eine Rolle spielten.

taz: Als „Vertuschungsgemeinschaft“ und nicht als „Forschungsgemeinschaft“ hat der Journalist Ernst Klee die DFG vor einigen Jahren in einem Artikel in der Zeit bezeichnet. Sehen Sie das nach Ihren Recherchen genau so?

Lothar Mertens: In den 50er und bis in die 60er Jahre gab es bei der DFG sicher kein Interesse an der Aufklärung ihrer Rolle im Dritten Reich. Vor allem unter ihren letzten beiden Präsidenten Wolfgang Frühwald von 1992 bis 1997 und danach Ernst Ludwig Winnacker hat sich das jedoch geändert.

Man hat Ihnen also keine Steine in den Weg gelegt bei Ihrer Arbeit?

Nein, ganz im Gegenteil. Die DFG-Mitarbeiter waren auf allen Ebenen äußerst hilfsbereit. Allerdings waren die im Koblenzer Bundesarchiv gelagerten Akten bisher nur schwer zu erschließen. Und ein Großteil der Unterlagen wurde von der DFG bei ihrem Umzug 1938 aus dem Berliner Schloss nach Steglitz systematisch vernichtet.

Um welche Akten handelt es sich dabei?

Um Dokumente zu geförderten Wissenschaftlern, die als Regimegegner galten, die emigriert waren oder die als Juden nicht mehr zur DFG-Förderpolitik passten. Rund 6.900 Akten lagern aus dieser Zeit noch in Koblenz, etwa 1.000 wurden 1938 verbrannt.

Lässt das Rückschlüsse über den Anteil jüdischer Forscher an den DFG-Stipendiaten zu?

Der jüdische Anteil an der deutschen Wissenschaft war gemessen am prozentualen Bevölkerungsanteil überproportional hoch. Die Zahl 1.000 bei knapp 8.000 Stipendiaten kommt dem schon sehr nahe. Ein Beleg dafür ist auch, dass 1933/34 etwa 1.100 jüdische Wissenschaftler aus dem Staatsdienst entlassen wurden. Lediglich Weltkriegs-Veteranen durften zunächst bleiben, nachdem Reichspräsident von Hindenburg sich für sie eingesetzt hatte.

Wie reagierte die DFG seit 1933 auf die neue politische Lage in Deutschland?

Schon in den ersten Jahren hat sie sich aus eigenem Antrieb selbst gleichgeschaltet. 1933/34 richtete die DFG zum Beispiel eine Personalstelle ein, die alle Stipendienbewerber bei Partei wie auch Gestapo auf ihre politische Zuverlässigkeit und „rassische“ Herkunft überprüfte. Selbst ihr Privatleben wurde akribisch durchleuchtet. Die Beurteilung über einen der Bewerber spricht Bände: „Außerdem möchte ich erwähnen, dass über die Person seines Vaters das Gerücht im Umlauf ist, er sei jüdischer Abstammung“ – wenn also nicht „dringende Gründe für eine Bewilligung vorliegen“, sei ein Stipendium abzulehnen. Auch in die NS-Kriegsplanungen ließ sich die DFG einbeziehen und hat schon 1934/35 vermehrt kriegsrelevante Rüstungsforschungen und Untersuchungen finanziell unterstützt.

Gab es keinen internen Widerstand?

Kaum. Viele Forscher freuten sich, dass Plätze frei wurden und sie so leichter an ein Stipendium kommen konnten. Einen Fall habe ich aber gefunden. Der für die Geisteswissenschaften zuständige Referent Karl Griewank hat noch bis Mitte der 30er Jahre hartnäckig und erfolgreich versucht, einem emigrierten jüdischen Wissenschaftler die ihm aus einem früheren Projekt zustehenden Reisespesen in Höhe von mehreren 100 Reichsmark zukommen zu lassen.

Was wurde aus den DFG-Funktionären nach Ende des Dritten Reichs?

Noch bis April 1945 hat die DFG weiter Stipendien verteilt, so als wenn gar nichts passiert wäre. Die in dieser Zeit Verantwortlichen haben ihre Karriere meist weiterverfolgt. Der berühmte Professor Ferdinand Sauerbruch etwa war „DFG-Führer“ für den Bereich Medizin, was im nicht geschadet hat. Professor Adolf Butenandt, der „DFG-Führer“ für Chemie, wurde Präsident der Max-Planck-Gesellschaft und erhielt den Chemie-Nobelpreis. Und Ottmar von Verschuer, der direkte Chef von Josef Mengele, erhielt bis Ende der 50er Jahre durch seine alten DFG-Seilschaften weiter Forschungsmittel für seine Arbeit an der Fakultät für Biologie in Münster.

INTERVIEW: HOLGER ELFES

Lothar Mertens (Hg.): ,,Nur politisch Würdige – Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich“