Berliner Luft an der Kuhstraße

Das Dortmunder Theater zeigt die Revue-Operette „Zwei Krawatten“. Die große Marlene Dietrich machte bei der Uraufführung im Jahre 1929 ihren ersten großen Karriereschritt

Es kommt nur noch auf Verpackung, Werbung und Serviervorgang an

VON FRIEDER REININGHAUS

Ein Stück wie für das Poesiealbum der Großmütter. Und zugleich ein Abendgruß aus dem Dickicht der Städte, kurz bevor der Weimarer Republik die Luft ausging: Halb handelt es sich bei „Zwei Krawatten“ um eine Operette, deren Text der Expressionist Georg Kaiser im Gefolge von „Mahagonny“ und „Dreigroschenoper“ von Brecht/Weill austarierte, halb um eine Revue des legendären Mischa Spoliansky.

Der gehörte zu den Männern der ersten Stunde im hauptstädtischen Kabarett-Betrieb nach 1918. Aus Bialystok stammend, war er während des Ersten Weltkriegs nach Berlin und dort als Lehrling in die Mode-Branche gekommen. Nebenbei spielte er als Barpianist, begleitete den nachmals so berühmten Tenor Richard Tauber bei Plattenaufnahmen. Bald hielt es ihn nicht mehr bei den Kurzwaren des Textilgeschäfts und er machte ganz in musikalischer Kurzware: Durch Victor Hollaender kam Spoliansky zu „Schall und Rauch“. Er vertonte Texte von Tucholsky und Walter Mehring. Und eben von Kaiser, der eine zartmarxistische Kritik der Warenwelt und des deutschen Idealismus „umzusetzen“ suchte: Es komme nicht länger auf „innere Werte“ an, nicht auf Charakter oder substantiellen Inhalt, sondern auf Verpackung, Werbung und Serviervorgang – „dann frisst die Menschheit alles“.

„Zwei Krawatten“, das ist eine Parforce-Jagd nach Glück, Liebe und Geld in unterschiedlicher Dosierung: Ein Gangster, der aus einem Berliner Grand Hotel entkommen will, tauscht – für tausend Mark – Krawatte und andere Wohlstandssymbole mit einem Kellner, der in der Westentasche auch noch das große Los der Tombola findet. Eine Reise nach Amerika! Jean lässt seine Trude sitzen, fängt an, das Leben Erster Klasse mit Miss Mabel zu genießen (bei der Uraufführung 1929: Marlene Dietrich, die durch Spoliansky ihren ersten und wichtigsten Karriereschritt machte). Trude aber reist Zwischendeck nach – Heike Susanne Daum gibt jetzt in Dortmund die noch etwas scheue, aber zielbewusste junge Frau hervorragend. Auf dem Schiff stolpert über sie Rechtanwalt Bannermann, Spezialist für das „Schächten“ von Erben (ganz und gar glaubhaft mit der Hand am Hosenträger und impertinentem Nölen: Hannes Brock); er entdeckt in ihr eine von ihm gesuchte Millionenerbin. Jean aber – in Carl-Philip von Maldeghems Inszenierung der agile Bernhard Modes – bekommt kalte Füße in Chicago kurz vorm Ja-Wort, das er Mabel und der Schlachthofindustrie geben soll; er stürzt sich zurück in das finanzielle schwarze Loch, aus dem er kam. Und nun, wie zu ahnen, dreht sich die Geschichte.

Maldeghem bedient die von Christian Floeren rekonstruierte Varieté-Bühne und die zeittypische Kostümierung streng historisch, nach anfänglichem Stocken auch mit Tempo. Das hat den Vorteil, dass aktualisierende Anspielungen auf gegenwärtige deutsch-amerikanische Projektionen und Peinlichkeiten unterbleiben. Nachteilig ist, dass eben auch die Szene so historisch verharrt wie die von Ralf Lange gediegen präsentierte Musik-Melange. Mit ihrem leise ironisch gebrochenen Operetten-Anteil und ihrem Song-Charme wird sie politisch nie aggressiv. Ein Hoch auf das Drei-Sparten-Haus, das Tanzeinlagen von solcher Qualität kredenzt! Allerdings war die Intendantin Christine Mielitz nicht gut beraten, diese Revue ins Große Haus zu pflanzen: Eine nostalgische Halle, entschieden gedrängter, könnte für nötige Atmosphäre sorgen.

4. und 10. November, 19:30 UhrInfos: 0231-5027222