Zwei Jungs kommen sich näher

Finanzminister Eichel findet die Steuervorschläge von CDU-Fraktionsvize Merz nicht übel. Doch der Kampf um die große Steuerreform kommt erst noch

„Eine komplizierte Welt muss sich auch in einem komplizierten Steuerrecht niederschlagen“

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Die Steuer ist eine komplizierte Sache. Sie nicht zu verstehen eine Pflicht jedes Politikers, der sich volksnah geben will. Selbst Bundesfinanzminister Hans Eichel kokettiert gelegentlich damit, seine Steuererklärung nicht zu durchschauen. Und weil die Union im Sommer steuerpolitisch ohne Kleider dastand, als die Regierung ankündigte, die Steuerreform vorziehen zu wollen, musste sie schnell etwas vorlegen, was besser klang. Und so schlug die Stunde von Fraktionsvize Friedrich Merz und seinem „vereinfachten“ Steuermodell.

Gerade zwei Wochen ist der Vorschlag von Merz alt, doch schon avancierte er zur festen Größe im Steuerstreit. Die grüne Finanzpolitikerin Christine Scheel „begrüßte“ Merz’ Initiative. Und Eichel bekannte vorm Auditorium der Berliner Humboldt-Uni, ein „vereinfachtes und transparenteres Steuersystem“, liege auch ihm am Herzen. Gestern nun ließ Eichel erklären, er sei zu Gesprächen mit der Opposition über das Merz-Modell bereit. Und SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wilhelm Schmidt ergänzte, bereits im heute beginnenden Vermittlungsverfahren zu Hartz und zum Vorziehen der Steuerreform könnten erste Teile mitverhandelt werden.

Die Unionsspitze macht derzeit allerdings nicht den Eindruck, als legte sie sehr viel wert darauf. „Die Regierung kann sich nicht aus der Affäre ziehen“, tönte etwa CDU-Chefin Angela Merkel gestern, „indem sie Wechsel auf die Zukunft unverbindlich verspricht“. Auch Stoiber sagte, erst in ein paar Monaten werde sich zeigen, ob es eine Basis für solche Verhandlungen gebe.

Warum sollten sie auch auf die Regierung zugehen? Das Merz-Modell hat seine taktische Funktion schon erfüllt: Neben ihm sollte das Vorziehen der rot-grünen Steuerreform wie eine lächerliche Reparaturmaßnahme erscheinen. Das ist allerdings ungerecht, da Merz die Bürger gerade mal um 5 Milliarden Euro entlasten will, Eichel mit allen Stufen der Steuerreform aber bereits 22 Milliarden vorgelegt hat. Und Merz’ 5 Milliarden sind alles andere als gewiss: Denn das Modell enthält „Schwierigkeiten“ und „Ungereimtheiten“. So urteilt nicht die politische Konkurrenz, sondern der Sachverständigenrat der „Fünf Wirtschaftsweisen“, der gestern sein Jahresgutachten vorlegte.

Was die Sachverständigen kritisierten, bewegt sich jenseits dessen, was derzeit euphorisch diskutiert wird, ob nämlich Steuerstufen gerechter sind als ein linear steigender Tarif. Das ist dem Wirtschaftsweisen Wolfgang Wiegard zufolge auch unerheblich. Er kritisiert systematische Schwächen des Merz-Modells, das zu weiteren Belastungen von Kapitalgesellschaften führe und etwa Mieteinnahmen weniger besteuere als Erträge aus anderen Vermögensarten.

Doch die Öffentlichkeit ist angefixt: Die Medien spekulieren über eine „große Steuer-Koalition“ (Welt) und den „Ruf nach dem großen Wurf“ (Spiegel). Ein einfaches Steuergesetz finden alle gut – solange die Vorschläge nicht so konkret werden, dass sich jeder seine Belastung ausrechnen kann – und die ersten Verlierer sich melden. Wenig Beachtung fand etwa die Tatsache, dass Merz’ Vorschlag nur noch für Familien am Existenzminimum ein Kindergeld vorsieht. Das will selbst die FDP erhöhen.

Merz’ Vorstoß hat eine Reihe von Nachahmern gefunden. Kaum hatte er die groben Ziele vorgestellt, legte die FDP ein ähnliches, aber stärker entlastenden Konzept vor. Die Grünen präsentierten vorgestern ebenfalls Eckpunkte, und auch der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser (CSU) will für seine Partei Anfang 2004 ein Konzept vorlegen. Jenseits der Vereinfachung treten schnell die Unterschiede zutage. So wollen die Grünen „auch stärkere Schultern beteiligen“ und denken statt der drei Steuerstufen von Merz (12, 24 und 36 Prozent) noch über eine vierte von 42 Prozent nach – sowie über eine Vermögensteuer. Faltlhauser will einen linearen Tarif, und anders als Merz und Scheel die Entfernungspauschale nicht ganz abschaffen.

Auch der Sachverständigenrat legte gestern ein Konzept vor: Demnach soll künftig nur noch nach zwei Einkunftsarten unterschieden werden (heute sind es sieben, bei Merz vier): erstens Kapitaleinkünfte, die mit um die 30 Prozent besteuert werden sollen, und zweitens Arbeitseinkünfte. Durch die zwei Einkommensarten soll vermieden werden, dass jede Firma je nach der Rechtsform anders besteuert wird.

Nach erfolgter Vermittlung wird deshalb der Kampf um die große Steuerreform erst richtig losbrechen. Klar ist nicht einmal, ob sich die Steuer überhaupt so vereinfachen lässt, wie Merz es verspricht. Auch künftig könne man seine Steuererklärung nicht „auf einer Postkarte“ abgeben, warnt Wiegard. „Eine komplizierter werdende Welt muss sich auch in einem komplizierten Steuerrecht niederschlagen.“