Irak: Keiner bleibt verschont

Bei einem Selbstmordanschlag auf einen italienischen Militärstützpunkt in Nassirija sterben mindestens 17 Italiener und 8 Iraker. US-Regierung debattiert schnellere Machtübergabe

BAGDAD/ROM dpa/afp/taz ■ Erstmals wurden gestern nach Irakern, US-Amerikanern, Briten und Polen auch Italiener Opfer eines Selbstmordanschlags im Irak. Bei einem der schwersten Attentate seit Monaten wurden auf einem italienischen Militärstützpunkt in Nassirija mindestens 17 Italiener und 8 irakische Zivilisten getötet. Nach Angaben eines Militärsprechers durchbrach ein Lkw die äußeren Absperrungen des Lagers. Ein nachfolgendes Auto explodierte im Gelände. Im Hof des Stützpunkts brach ein Feuer aus, das mehrere Fahrzeuge und ein Munitionsdepot erfasste.

15 der getöteten Italiener waren Carabinieri und Soldaten, zwei Zivilisten. Nach italienischen Angaben wurden mindestens 59 Menschen verletzt. Unter den Trümmern eines Gebäudes wurden weitere Opfer vermutet. Der italienische Verteidigungsminister Martino machte die Fedajin-Miliz von Saddam Hussein für das Attentat verantwortlich. Ministerpräsident Berlusconi betonte, Italien sei weiter dazu entschlossen, zum Wiederaufbau des Irak beizutragen.

Erst am 27. Oktober waren bei einer Serie von fünf Selbstmordanschlägen in Bagdad insgesamt 35 Iraker und US-Soldaten getötet worden. Eine Autobombe explodierte damals vor dem Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz.

Die südirakische Stadt Nassirija galt bislang als ruhig. Die rund 400 italienischen Carabinieri, die dort stationiert sind, waren bisher noch keinen feindlichen Angriffen ausgesetzt gewesen. Die mehrheitlich schiitische Bevölkerung steht der Besatzung eher abwartend bis positiv gegenüber.

Die italienische Regierung hatte im Juni ein Kontingent von fast 3.000 Soldaten in den Irak entsandt. Italien unterstützt das militärische Vorgehen der USA und Großbritanniens.

Der Widerstand gegen die ausländischen Truppen im Irak ging gestern auch andernorts weiter. Im Großraum Bagdad starben zwei US-Soldaten, als ihre Fahrzeuge auf Sprengsätze fuhren. Weitere auf Straßen platzierte Bomben wurden entschärft. Bei einer Schießerei in Falludscha starben fünf Iraker. US-Soldaten schossen versehentlich auf ein Fahrzeug eines Mitglieds des irakischen Regierungsrats und verletzten den Fahrer schwer.

Die US-Regierung erwägt angesichts der eskalierenden Gewalt im Irak eine Kehrtwende in ihrer Strategie. In Washington tagte gestern der Nationale Sicherheitsrat unter der Leitung von US-Präsident George W. Bush, um eine schnellere Machtübergabe an die Iraker zu erörtern. Der oberste Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer, war zu dem Krisengespräch nach Washington geholt worden. Es sei u. a. ein Vorschlag erörtert worden, einen irakischen Übergangspräsidenten zu ernennen, verlautete aus Regierungskreisen. Bremer stellte klar, dass der irakische Regierungsrat für die Ausarbeitung einer Verfassung zuständig bleiben soll. Einzelheiten wurden zunächst nicht bekannt. Auch der britische Außenminister Straw stellte in Aussicht, dass „die Machtübergabe an das irakische Volk schneller vonstatten gehen könnte als vorgesehen“. KLH

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