Das Tabu um „Killer-Lilly“

Nach einer beispiellosen Kampagne gegen eine 16-jährige Gewalttäterin wird diese auf Bewährung verurteilt. Unter dem Druck des Boulevard wird erstmals Urteil veröffentlicht

hamburg taz ■ In dem zum Politikum aufgebauschten Jugendgerichtsverfahren gegen die 16-jährige Ljiljana M. wurde gestern das Urteil gefällt: Die Heranwachsende aus Hamburg – von norddeutschen Medien zur „Killer-Lilly“ hochstilisiert – ist wegen Körperverletzung und Raub schuldig gesprochen worden. Wegen ihrer „Rohheit“ wurde ihr zur Auflage gemacht, sich außerhalb Hamburgs einem Anti-Aggressionstraining in einer therapeutischen Einrichtung zu unterziehen. Mehr sei nach dem Jugendgerichtsgesetz unverhältnismäßig. Die Bewährung ist auf ein Jahr befristet.

Mit der Veröffentlichung des Urteils durchbricht die Justiz ein bundesweites Tabu: Eigentlich finden Jugendgerichtsverfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz streng unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Das schließt das Urteil ein – denn dieses soll im Wesentlichen erzieherische Elemente statt Strafe enthalten. Die Justiz hielt es jedoch aufgrund des medialen Drucks diesmal für erforderlich, da eine Berichterstattung über den Fall ohnehin nicht zu unterbinden sei.

Denn in der Tat ist Ljiljana M. kein Engel. Mehrfach ist die 16-jährige aus einer am Stadtrand hochgestampften Neubausiedlung der 70er Jahre in den vergangenen Jahren der Polizei aufgefallen: Diebstähle, Überfälle und Raufereien werden ihr zur Last gelegt. Als sie im September eine gleichaltrige Schülerin im Beisein anderer Kids verprügelte, kochte die Volksseele über.

Die Mär von einer Mädchengang kam auf, Fernsehteams und Boulevardreporter aus ganz Deutschland suchten Opfer, Nachbarn und den Stadtteil heim. Eine vom Hamburger Rechts-Senat beförderte Kampagne gegen straffällige Jugendliche und die Laschheit der Justiz am Beispiel von „Killer-Lilly“ war die Folge. Dabei sahen selbst Polizei und Staatsanwaltschaft keinen Grund, Ljiljana M. in Untersuchungshaft zu strecken.

Fakt ist allerdings: Unter dem Rechts-Senat hat die Zahl der Straftaten von Jugendlichen auf Hamburgs Straßen enorm zugenommen. Dabei verzeichnen die Statistiker allein bei der so genannten „Mädchen-Kriminalität“ einen Anstieg von fast 25 Prozent. Kai von Appen