NEUE PLATTEN
: „A Classical Guide To No Man’s Land“, weil es in der Musik mehr Möglichkeiten gibt, als sich nur in Hitparaden zu organisieren

„A Classical Guide To No Man’s Land“ No Man’s Land

Platten bekommt man im Plattenladen, man sollte dabei nur keinen entlegenen Geschmack haben. Denn wer mal was von Merzbow will, von Morton Feldman oder Roberto Musci (also Japan-Krach, Minimal-Exerzitien und Seltsam-Ambient), ist beim Fachhandel gleich besser aufgehoben. Bei Gerhard Busse zum Beispiel, der in der Berliner Straßmannstraße seinen Mailorder für exquisite Musik betreibt (online unter www.nomansland-records.de) und dazu zwei Labels betreut, Review Records und No Man’s Land, die sich nun wirklich nicht durch einen Massenoutput auszeichnen. Dafür gibt es Tröpfchen für Tröpfchen Qualität, sodass man nicht ganz an der musikalischen Welt verzweifelt. Wer diese Verzweiflung noch nicht kennt, wird überrascht sein, wie viel es noch zu hören gibt an Unbekanntem, Krausem und auch wunderbaren Hits, die nur deswegen nicht in allen Ohren summen, weil sie nicht an jeder Litfaßsäule angeschlagen sind. Als Einführung in das Programm ist gerade „A Classical Guide To No Man’s Land“ erschienen, zwei CDs, eine mehr mit Tracks, die andere voller Songs, mit Material, das selbst den Kenner zu überraschen weiß (etwa der Beitrag des Akkordeon-Virtuosen Guy Klucevsek, der gerade beim Jazz Fest war, einmal am Klavier). Meist neue Aufnahmen und dazu Unveröffentlichtes, das seit guten zwei Jahrzehnten im Archiv liegt. Nur, das hört man ihm nicht an. Gar nicht weil man einst der Zeit so weit voraus gewesen wäre und jetzt endlich von der Gegenwart eingeholt wurde. Sondern weil diese Musik in Szenen wurzelt, die neben der Zeit arbeiten und eher in einem losen Kontakt zu den Moden stehen. Diese Rolemodels, mit denen man, erst einmal abgewickelt, halt auch plötzlich recht alt dasteht. Experimente bewahren sowieso mehr an Frische (könnte man sich Schwitters Ursonate altväterlich vorstellen?).Neben der Zeit, nicht aber aus der Zeit gefallen, und wenn den Musikern die Musik hier tatsächlich als Musik von Interesse ist, kennen sie doch ihren Eisler, der da wusste, dass wer nur was von Musik versteht, auch davon nichts versteht. Sie schauen sich schon um und wollen sich trotzdem nicht in den Hitparaden organisieren, sondern arbeiten in miteinander kommunizierenden Paralleluniversen, eingefangen in dieser Wundertüte, in der man auch seinen Spaß an einer schön gelungenen Melodie hat: Wird gar nicht über Gebühr zerdehnt und aufgesprengt, der Song, auf der zweiten CD, sondern als Format für die persönliche Handschrift genommen. Ein je eigener Tonfall, die Wiedererfindung der Canterbury-Musik durch den Ruins-Schlagzeuger Yoshida Tatsuya (war gerade beim Jazz Fest), der feist schweinerockende Housetrack von Ich schwitze nie (ein neues Lebenszeichen), der locker komplexe Rocker von Ne Zhdali mit Leonid Soybelman (ein sehnsüchtig stimmendes letztes Mal), das Impro-Ambient-Konfekt von Frank Schulte und Anna Homler (auch gerade beim Jazz Fest gewesen, hoffentlich habe ich niemanden übersehen). No Man’s Land. Niemandsland. Zwischen den Linien. Unentdecktes Gebiet. Noch nicht kolonialisiert. Ein schöner Ort. THOMAS MAUCH