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: Menschen, Tiere, Demonstrationen: Zirkus in Berlin

Die Stadt ist mal wieder im Gauklerwahn. Erst demonstrieren über 100 Zirkusunternehmen gegen das geplante Wildtierverbot in der Manege. Dann bekommt Bernhard Paul für seinen Roncalli Circus den Zentralen Festplatz als zukünftigen Standort zugewiesen – obwohl der, wie Paul sich empört, überhaupt nicht zentral liegt –, während zeitgleich die Berliner Studentenschaft an den besten Plätzen der Stadt ihre zwar wildtierfreien, aber überaus zirkustauglichen Studentenproteste zur Aufführung bringen darf. Wo bleibt da die Gerechtigkeit?

Man könnte in diesem Zusammenhang sogar von grober Wettbewerbsverzerrung sprechen, da die studentische Protestfolklore in ihrem heiligen Ernst von derart unfreiwilliger Clownhaftigkeit ist, dass selbst professionelle Clowns mit absichtlicher Komik ihr nichts entgegenzusetzten haben. Unübertroffen ist zum Beispiel das öffentliche Umhertragen von Särgen, mit denen „symbolisch“ die Lehre, der Bildungstandort, das Institut XY oder die Chancengleichheit zu Grabe getragen wird; wunderbar sind die vielen, liebevoll getexteten Flugblätter mit ihren erstaunlichen Bandwurmsätzen, die den entscheidenden Sachverhalt geradezu umspielen; ein noch größerer Spaß sind die spontanen, quasi-improvisierten szenischen Darstellungen unerträglicher studentischer Probleme, welche die Hochschulen ununterbrochen produzieren. Zirkusangestellte, die mit zerzausten Eseln oder Lamas an der Leine an öffentlichen Plätzen um Tierfutterspenden bitten, haben da natürlich das Nachsehen.

Im Gegensatz zum zerzausten Esel erfüllt die studentische Protestfolklore immerhin eine Vielzahl wichtiger Funktionen. Eindringlicher als jede Pisa-Studie verdeutlicht sie zum Beispiel die Zustand der Bildung an deutschen Schulen, die nicht zuletzt Studenten hervorbringen, die offenbar allen Ernstes glauben, dass Flugblätter, Vorlesungen an öffentlichen Plätzen und Uni-Besetzungen irgendjemanden außerhalb der Universitäten interessieren. Da der beeindruckende Mangel an Originalität nach gewisser Zeit selbst manch studentischem Protestierer auffällt, beginnt für diesen damit die Phase der Emanzipation, in der er sich von seinem Selbstbild als Student distanziert. Denn nur ein Student, der aufgrund anderer Studenten kein Student sein mag, kann sein Studium wirklich mit Erfolg absolvieren.

Als Grundregel Nummer eins empfiehlt es sich daher, sich unter keinen Umständen als Student zu begreifen, sondern als jemand, der eigentlich etwas völlig anderes macht und nur nebenher, gewissermaßen aus einer Laune heraus, aus Langeweile sozusagen, etwas studiert. Besser noch: Man sagt, man sei lediglich eingeschrieben. Um die Camouflage zu perfektionieren, ist es unbedingt ratsam, sich von universitären Freundschaften fernzuhalten. Man sollte mit Kommilitonen nur das Nötigste reden, sich allgemein kalt und zurückweisend geben und keinesfalls den Kontakt suchen.

Um sich unerwünschte Bekanntschaften vom Hals zu halten, kann es nicht schaden, tagesaktuelle Ausgaben einschlägiger Boulevardzeitungen deutlich sichtbar mit sich zu führen, denn offensiv ausgestellte Oberflächlichkeit wirkt in universitären Zusammenhängen noch immer als eine Abwehr der sichersten Art. Jene Kommilitonen, die sich beklagen, das Studium sei zu anonym, sind dabei besonders zu meiden. Semesteranfangspartys, Fachbereichsfeten, Plenen sowie studentische Zusammenkünfte, die allein dem zweifelhaften Zweck dienen, sich in lockerer Atmosphäre besser kennen zu lernen, sind weiträumig zu umgehen.

Was das nun wieder mit dem Zirkus zu tun hat? Da geht man ja eigentlich auch nicht hin.

HARALD PETERS