semlers kleine wortkunde
: Unsagbar unsäglich!

Eine Mahnung aus aktuellem Anlass: Es ist dringend geboten, zwischen den Worten „unsagbar“ und „unsäglich“ zu unterscheiden. Alles andere wäre unter aller Sau

„Ich will ja nix jesacht haben“ sagt der Kölner, um gleich darauf loszulegen und sich nach Herzenslust über Dinge zu verbreiten, über die eigentlich der Takt, die guten Sitten oder gar Sprachtabus zu schweigen gebieten. Im Reich der Politiker wird hier genau umgekehrt verfahren. Dinge, über die eigentlich unbedingt zu sprechen wäre, werden ins Reich des „Unsagbaren“ verwiesen. Die Rede vom „unsagbaren Leid“ beispielsweise,das die Völker von Seiten Nazi-Deutschlands erdulden mussten, weist den Politiker, der sich dieser Floskel bedient, als empfindsamen Menschen aus, der angesichts des Grauens um die Grenzen des sprachlichen Ausdrucksvermögens weiß. Gleichzeitig erspart ihm der Begriff die Notwendigkeit, über Daten, Zahlen, Motive und Verfahrensweisen der Verursacher „unsagbaren Leids“ zu sprechen.

Von „unsagbar“ muss unbedingt „unsäglich“ unterschieden werden. Das Unsägliche ist zwar unserer Vorstellungskraft zugänglich und wäre sprachlich ohne weiteres ausdrückbar, übersteigt aber in seiner Dummheit oder Niedertracht alle allgemein akzeptierten Maßstäbe. „Unsäglich“ wurde in den letzten Wochen quer durch die politischen Parteien zum Schlüsselbegriff, um die Rede des Abgeordneten Hohmann in Sachen jüdisch-bolschewistischer Gottlosigkeit zu charakterisieren. Wenn Laurenz Meyer, Generalsekretär der CDU, von den „unsäglichen“ Hohmann’schen Äußerungen seines Kollegen redet, erteilt er damit all jenen Rechtsauslegern der CDU Absolution, die ihr ausländerfeindliches, deutschtümelndes Credo im akzeptierten Politikjargon vorbringen. Wer „unsäglich“ sagt, braucht nicht nach der Substanz zu fragen. Er kann Vergleiche abwehren, sich die Feststellung von Ähnlichkeiten ersparen. Heiner Geißler (noch CDU) hingegen spricht nicht von der Hohmann’schen „Unsäglichkeit“, sondern schlicht vom Rechtsradikalismus.

Wer die Hohmann’schen Äußerungen als „unsäglich“ qualifiziert, verweist sie ins Jenseits der Auseinandersetzung, in einen Bereich, wo es sich nicht mehr verlohnt, zu argumentieren. „Unsäglich“ ist unter aller Sau.

„Unsäglichkeit“ transportiert auch das nötige Maß der Empörung, während die seltener anzutreffende Charakterisierung der Rede Hohmanns als „wirrköpfig“ zwar ebenfalls die politische Auseinandersetzung erübrigt, aber die emotionale Wirkungskraft von „unsäglich“ verfehlt.

„Unsäglich“ und „unsagbar“ bezeichnen beide Diskursschranken, aber „unsäglich“ hat den Vorteil, im Gegensatz zu „unsagbar“ nicht auf das Reich der hohen, feierlichen Töne beschränkt zu sein. Wir nennen alle möglichen Hervorbringungen unsäglich und formulieren damit ein Geschmacksurteil. Und über das lässt sich bekanntlich nicht streiten. CHRISTIAN SEMLER