Perfekter Zugriff, ein Toter

Einen vermeintlichen Scheckkartenbetrüger bei der Festnahme von hinten im Auto sitzend erschossen: Hamburger Zivilfahnder steht wegen des Vorwurfs fahrlässiger Tötung vor Gericht

Nach den Vorschriften sind Polizeibeamte – und somit auch Zivilfahnder – angehalten, Schusswaffen behutsam einzusetzen. Wenn bei Fahrzeugkontrollen die Schusswaffe zur Eigensicherung eingesetzt wird, ist sie mit gestrecktem Zeigefinger – also nicht am Abzug – in einer Vorwärts-Abwärts-Stellung des Laufes zu halten, damit sich nicht ungeplant ein möglicherweise tödlicher Schuss löst. Zudem soll sie in der mit Schusswaffen geübten Hand geführt werden. KVA

VON KAI VON APPEN

Es sollte der „perfekte Zugriff“ werden. Um 2.55 Uhr in der Früh wollte der Zivilfahnder Hans-Peter A. am 26. Juni 2007 in der Nähe des Hamburger Rathauses zusammen mit seinem Team zwei mutmaßliche Kreditkartenbetrüger festnehmen. Die beiden Rumänen waren dabei observiert worden, wie sie in mehreren Banken mit Scheckkarten Geldsummen abhoben. Während A. mit seinem Kollegen Michael B. im Dienstwagen mit quietschenden Reifen neben dem verdächtigen Fahrzeug anhielten und mit gezogenen Dienstwaffen zur Fahrerseite stürmen, näherte sich Kollegin Petra G. zu Fuß vom Gehweg her der Beifahrerseite, rief „Polizei!“. Gleichzeitig setzte Fahnderin Antje B. mit dem Streifenwagen Peter 14/21 das Fahrzeug der Observierten von hinten fest. Plötzlich fiel ein Schuss.

Der Mann auf dem Fahrersitz schrie auf: „You shot me!“ („Du hast mich getroffen!“) und brach zusammen. Eine Polizeikugel hatte das hintere Seitenfenster durchschlagen, den Sitz durchstoßen und den Mann tödlich getroffen. Die Staatsanwaltschaft warf Hans-Peter A. fahrlässige Tötung durch pflichtwidrigen Schusswaffengebrauch vor: Der 52-Jährige habe sich mit Schusswaffe in der Hand den Wagen genähert, sie dabei aber nicht mit gestrecktem Zeigefinger in Vorwärts-Abwärts-Stellung gehalten (siehe Kasten), sondern den Finger am Abzug gehabt.

Zu Prozessbeginn schwieg Hans-Peter A. am Mittwoch vor Gericht. Im Vorverfahren dagegen hatte er sich über seinen Rechtsanwalt Walter Wellinghausen – ehemals Staatsrat unter Innensenator Ronald Schill – dahingehend eingelassen, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Da er die Fahrertür aufreißen wollte, habe er die Dienstwaffe in seine ungeübte linke Hand nehmen müssen. Als der Pkw plötzlich einen Ruck gemacht habe, habe er wegen eines unkontrollierbaren Reflexes den Schuss ausgelöst.

Dem widersprach gestern Kollege Michael B.: Er sei an der Fahrertür gewesen, „als wir den Zugriff machten“. Er habe versucht, die Tür aufzureißen, als der Wagen plötzlich einen Ruck machte. Ob der Fahrer versuchte, das Fahrzeug anzulassen, könne er nicht sagen, gab B. an. Der Angeklagte habe versucht, die hintere Tür zu öffnen. Dann der Schuss. „Ich war so erschrocken von dem Knall“, so B.. Er habe die Druckwelle am Ohr gespürt, sei zur Seite getaumelt. Anschließend sei er vorübergehend taub gewesen. „Ich hab das Loch in der Scheibe gesehen“, sagte B., „da hab ich erst realisiert, dass der Fahrer getroffen war“.

Dass das Auto sich bewegt habe, dessen gab sich B. zunächst sicher: „weil ich den Griff in der Hand gehabt habe“. Auf den Einwand des Verteidigers, dass er früher ausgesagt habe, er habe die Tür öffnen „wollen“, korrigierte sich B. zunächst. Dann bekräftigte er: Er habe den Griff angefasst.

Eine Frage, die für die drei Nebenkläger-Anwältinnen von erheblicher Bedeutung ist: „Warum will ein Polizist eine Tür öffnen, wenn bereits an anderer dran ist“, fragte Anwältin Astrid Denecke, die den Sohn des Toten vertritt. Zumal B. angegeben hatte, seine Truppe sei ein total eingespielte Team, sodass es vor einem solchen Einsatz keinerlei Absprachen bedürfe: „Da weiß jeder“, so B., „was er zu tun hat“. Für ihn sei der damalige Einsatz „ein perfekter Zugriff gewesen“, sagte B. weiter, „wenn nicht die Tragödie mit dem Schuss wäre“.

Die Anwältinnen der Nebenklage kritisierten gestern am Rande die polizeilichen Ermittlungen. „Es ist ein Skandal, wie hier gearbeitet wurde“, empört sich Astrid Denecke. So sei allen tatbeteiligten PolizistInnen Gelegenheit gegeben worden, sich über das Geschehen auszutauschen. Schmauchspuren seien erst nach Stunden gesichert worden. Die Rechtsanwältin Leonore Gottschalk-Solger, die die Schwester sowie den Komplizen des Erschossenen vertritt, würde diesen gern als Zeugen laden – zurzeit hält der Mann sich in Rumänien auf. „Er wäre bereit, unter der Zusage freien Geleits auszusagen“, so Gottschalk-Solger, „aber das wird ja abgelehnt“.