Die Laster rasen um jeden Preis

Jeder vierte deutsche Lkw-Fahrer verstößt gegen das Gesetz – um schneller als die Konkurrenz zu sein. Denn: Den höheren Gewinnen stehen nur geringe Bußgelder entgegen. Bei Unfällen mit Lastern sterben derzeit 1.700 Menschen pro Jahr

aus Berlin HANNA GERSMANN

Der Wettbewerb auf Deutschlands Straßen ist knallhart, es geht um jede Minute und jeden Cent. Wie viele Spediteure und Lkw-Fahrer allein dadurch sparen, dass sie Sicherheitsvorschriften umgehen, hat das Prognos-Institut im Auftrag der Deutschen Bahn berechnet: Sechs Cent pro Kilometer. „Das sind keine Peanuts“, ärgerte sich Norbert Hansen, Chef der Allianz pro Schiene, gestern. Regelverstöße dürften sich nicht lohnen. Er forderte: „Die Bußgelder müssen drastisch erhöht werden.“

Die Lkw-Lenker blieben zu lange hinterm Steuer, hielten kein Tempolimit ein, erläutert Stefan Rommerskirchen, ein Autor der Studie. Die Laster seien zudem überladen, Bremsen und Reifen abgenutzt. Der Wissenschaftler war bei Lasterkontrollen dabei, wälzte Statistiken, sprach mit Fahrern. Er fand heraus: Spediteure die beispielsweise auf der Route Lübeck–Düsseldorf Zellulose transportieren, nehmen höhere Unfallrisiken in Kauf und drücken so ihre Kosten um gute fünf Prozent. Zum Vergleich: Die Gewinnmargen im Transportgewerbe liegen bei drei Prozent.

Mit mangelnder Kontrolle hätte das alles nichts zu tun, erläuterte Hansen. Für die ist das Bundesamt für Güterverkehr zuständig. Deren Fahnder prüften im letzten Jahr 610.000 Lkws und beanstandeten jeden vierten deutschen und jeden fünften ausländischen Brummi. Die „Wild-West-Methoden der Straße“, sagt Hansen, gebe es, weil mit durchschnittlich 141 Euro die Bußgelder viel zu gering seien. Er schlug eine Regelung wie in Frankreich vor, wo schwere Verstöße mit bis zu 30.000 Euro und einem Jahr Freiheitsstrafe bestraft werden könnten.

Es handele sich schließlich nicht um ein Kavaliersdelikt. Vielmehr würden die Lkws für Fußgänger, Rad- und Autofahrer zur Bedrohung. Zu häufig verlieren die überlasteten Brummifahrer die Spur, jeder fünfte Verkehrstote in Deutschland geht auf ihr Konto, insgesamt 1.700 jährlich. „Übermüdung tötet“, warnte auch die Gewerkschaft Ver.di. Rund eine Million Lkws drängeln sich schließlich auf den Autobahnen von Flensburg bis München. Tendenz: steigend.

Dass es Verstöße gebe, sei doch „nichts Neues“, empört sich Gerhard Niederberger vom Bundesverband Spedition und Logistik. Die Verallgemeinerung akzeptiere er nicht. Lokführer müssten sich an die Fahrpläne halten, auf der Schiene kämen Regelverstöße „systembedingt nicht vor“, hält Hansen wiederum dagegen. Bernd Malmström, Chef der Bahn-Tochter Stinnes, die Waren auf Straße und Schiene transportiert, vermittelt: Die laxe Bußgeldpraxis „benachteiligt nicht nur die Schiene, sondern auch die Sauberen der Branche“. Wie viele Bußgelder seine Brummifahrer eingefahren haben? Das weiß er nicht.