Die Pforten der Auferstehung

Wenn der Mut der Herzen einen Weg ins Beste weiß: Am Dienstag trat Dietmar Dath mit dem Kammerflimmer Kollektief in den Sophiensælen auf und sprach von der Liebe

Die Vögel zwitschern in der Stadt, über der eine vorösterliche, hormonell bedingte Fröhlichkeit zu liegen scheint. Dietmar Dath muss das gespürt haben. Er entschied sich, mit dem Trio Kammerflimmer Kollektief in den Sophiensælen nicht die eben im Verbrecher-Verlag erschienene CD „Im erwachten Garten“ in Wort und Klang wiederzugeben, sondern ein Programm zum Besten zu geben, das von der Liebe handelt.

Acht Scheinwerfer werfen sparsames Licht auf die Bühne. Thomas Weber spielt steinerweichende Slideguitar. Johannes Frisch tanzt um seinen Kontrabass herum. Heike Aumüller und ihr Harmonium begnügen sich mit einem Podest als Sitzgelegenheit. Ihre Gesangsparts in Fantasiesprache tun ein Letztes, der Musik einen gewisses Teestubenflair zu geben, wie Kollektief-Fans sogleich murren. Meist wechselt sich Musik mit Textdarbietung ab, nur die Übergänge fließen manchmal: Das Kollektief spielt, Dath liest.

Der Dichter beginnt den Abend völlig unteestubenhaft mit der Pulp-Fantasy-Geschichte über die junge Frau Mischa. Sie wird eines Nachts im Mauerpark von migrantischen Testosteronbombern misshandelt und vergewaltigt. Diese stehen für das Land, „wo Schwänze sprechen“, was einfach, präzis und schön gesagt ist, wofür man sich aber von unterkomplexen Gendertheoretikerinnen schnell den Vorwurf des „Essentialismus“ einhandelt, als wäre das männliche Geschlechtsorgan in dieser Gesellschaft von der symbolischen Ordnung und der Macht in einem theoretischen Surgical Strike je sauber zu trennen. Mischa hat noch dazu eine Geliebte, „die mit einem Manne wohnt, der aus transgressiver Triebwut hin und wieder in den Puff geht“. Das Märchen hat dennoch ein gutes Ende, weil schließlich „der Mut der beiden Herzen einen Weg ins Beste weiß“. Auch wenn, wie es später heißt, Sex auch nur eine Technik ist, den einen Schmerz gegen einen womöglich noch größeren zu tauschen.

Im Augenblick der bodenlosesten Erniedrigung hatte Mischa sich weggeträumt, das gute Ende der Geschichte ist nicht das Ergebnis einer Entwicklung. Das hat vielleicht mit des Autors Subjektverständnis zu tun, der sich anfangs hinstellte und sagte: „Das hier ist Dietmar Dath.“ Humanismus ist für Dath ein Schimpfwort. Obwohl seine Protagonisten, allen voran Mischa, darauf bestehen, autonome Individuen im humanistischen Sinn insofern zu sein, als sie für sich das von den Vätern der amerikanischen Verfassung formulierte Recht einfordern, nach Glück zu streben. Und eben das ist der notwendige Eckstein von Daths sympathischem Sozialismus, auch wenn er das nicht hören mag. Mit ihm kollidiert in seinen Texten durchaus produktiv die Vorstellung, dass unser Ich nicht wachend in der Kanzel sitzt, sondern nie exakt zu lokalisieren ist, weil es sich nur momenthaft in einem unüberschaubaren Netz von Beziehungen zu anderen, sich selbst, dem eigenen Körper konstituiert. „Es gibt zwei Arten von Unsterblichkeit“, sagt Dath. „Entweder, man stirbt nie, oder jeder Tod ist immer nur die Pforte zu erneuter Auferstehung.“

Dath ist ein überzeugender Performer seiner Texte. Er kann, wie sein Verleger Jörg Sundermeier nachher zu Recht konstatiert, sogar den hohen Ton halten, wenn er sich zwischendurch aufs Reimen verlegt. Das Rollen des Rs bei Wörtern wie Reaktion mag Verächtern von Laibach, Heavy Metal, Splattermovies und Ballerspielen albern sowie manche Wendung kitschig vorkommen. Vielleicht aber kann es ohne Kitsch keine Auferstehung und also keine Freiheit geben.

Aber eines muss doch noch gesagt werden: Einen Text vorzulesen über Bevölkerungspolitik, in dem amerikanische Eugeniker den Schurken geben, aber unsere CDU-Mutterursel, die Reproduktionsheilige der braven, weißen, deutschen Mittelklasse nicht vorkommt – das geht gar nicht.

ULRICH GUTMAIR