Mehr Leute spritzen sich zu Tode

Zahl der Drogentoten im Vergleich zum Vorjahr um ein Fünftel gestiegen. Gesundheitsverwaltung: Schwankungen nicht wissenschaftlich zu erklären. Polizei gefährdet durch Razzien die Arbeit von Drogenkonsumraum in Kreuzberg

Erstmals seit vier Jahren ist die Zahl der Drogentoten in Berlin gestiegen. In den letzten zehn Monaten starben 142 Menschen wegen Drogenkonsums. Das sind 24 Tote mehr als im Vorjahr, rund 20 Prozent.

Seit Jahren gebe es ein ständiges Auf und Ab, das wissenschaftlich nicht zu erklären sei, sagt die Sprecherin der Senatsgesundheitsverwaltung, Roswitha Steinbrenner. „Wir vermuten, dass es mit einem veränderten Verbraucherverhalten zusammenhängt.“

Denkbar sei ein Mischkonsum von Heroin, Kokain, Methadon und Alkohol. Die einzige erfreuliche Botschaft: Unter den Drogentoten befindet sich kein Minderjähriger. Auch der Anteil der unter 25-Jährigen ist um 18 Prozent gesunken. Der Drogentote ist in der Regel 33 Jahre und älter.

Auch die Drogenberatungsstellen suchen nach Erklärungen. Die Drogenkonsumräume in Moabit und Kreuzberg, die im Frühjahr eingerichtet worden sind, wollen sie aber nicht in Frage stellen. Ohne diese wäre die Todesrate vermutlich noch höher, vermutet Ulla Schade, Drogenberaterin im Konsumraum Dresdner Straße. Dort sind ihren Angaben zufolge seit der Eröffnung 20 Drogennotfälle registriert worden, 8 Konsumenten wurden mit dem Rettungswagen abtransportiert. „Daran sieht man, wie wichtig die Einrichtungen sind“, so Schade. Umso mehr erfülle sie mit Sorge, dass die Polizei seit einigen Wochen rund um das Kottbusser Tor verstärkt Razzien durchführe. Die Folge sei ein deutlicher Rückgang der Konsumentenzahlen von rund 95 Menschen in der Anfangszeit auf nunmehr 40 im Monat.

Die Razzien würden ohne Wissen des für die Dresdner Straße zuständigen Polizeiabschnitts 53 durchgeführt, meint Wolfgang Nietze, Drogenkoordinator des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg. Nietze hat deshalb einen Brief an Polizeipräsident Dieter Glietsch, die Staatsanwaltschaft und Innensenator Ehrhart Körting geschrieben, in dem er die Beteiligten bittet, sich an die mit den Betreibern des Konsumraums geschlossene Kooperationsvereinbarung zu halten. Andernfalls, so Nietze zur taz, „wird der gesundheitspolitische Auftrag des Senats durch das Verhalten der Polizei torpediert“.

Mit ganz anderen Problemen haben die Bewohner der drogentherapeutischen Wohngemeinschaft „Ruhwaldpark“ des Caritasverbandes zu kämpfen. Dem Projekt, in dem zehn drogenabhängige Erwachsene mit acht Kindern wohnen, soll zum Jahreswechsel das Geld gestrichen werden. Eine Bewohnerin: „Auf der einen Seite steigt die Zahl der Drogentoten, auf der anderen Seite kürzt der Senat funktionierenden Projekten die Mittel.“ Dazu Steinbrenner: „In der Drogenarbeit steht ein Umstrukturierungsprozess an.“ PLU, FLEE