das weinen der 89er von WIGLAF DROSTE
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Der Fall der Mauer hatte maßgeblich würdelose Züge. Ostdeutsche kamen in Plastikautos über Grenzübergänge gemüffelt und ließen sich von Karnevalswestdeutschen widerstandslos Bananen und Fünfmarkscheine zustecken. Brav stellten sie sich an, um ihr Begrüßungsgeldalmosen in Empfang zu nehmen – der Anblick musste jeden schmerzen, der dem Menschen mehr zutraut als um sich grapschende Dummheit. Unfreiwillig komisch war das deutsche Pathos auch: Brandt, Diepgen, Wohlrabe et cetera versuchten am Brandenburger Tor, die deutsche Nationalhymne zu singen – es wurde ein dem fiesen Lied sehr adäquates Gekrächze.

Im kollektiven deutschen Vollrausch ging die Peinlichkeit der Einheit unter. Dummpatriotismus triumphierte, trübste Tassen nannten sich stolz 89er und schwärmten von der Berliner Republik. Die Ostdeutschen betrugen sich mehrheitlich nach Wunsch ihrer großen Westbrüder: Trottelig ließen sie sich ausplündern, waren hübsch devot oder wenigstens still. So wollte der Westen sie haben, handzahm, unmündig, verfügbar, und viele Ostdeutsche hatten überhaupt nichts dagegen, wenn nur die Währung stimmte.

15 Jahre später geht es dem Nationalprojekt Wiedervereinigung erfreulich schlecht, und die Betreiber des schwarzrotgoldenen Wahns sind sehr ungehalten. Schuld am Niedergang, meckern sie, sind die Ostdeutschen, die sich für Hartz IV und Ein-Euro-Jobs nicht angemessen begeistern wollen.

Lauter als 17 Millionen DDRler zusammen heulen nun die Wiedervereinigungsfanatiker West über das Jammern der Ostdeutschen. Speziell im Springer-Milieu wird so herumgebittert, dass einem das Herz im Leibe hüpft. Wolfram Weimer, Exchefredakteur der Welt und nun in gleicher Position bei der albernen Zeitschriftensimulation Cicero, wäre gern konservativ, weiß aber gar nicht, was das ist und wie das geht. Deutschland sieht er bedroht von „dreisten Angstgewinnlern von PDSNPDDVU“ und wiederholt den Blödsinn direkt: „ostdeutsche PDSNPDDVU-Wähler“. Ich kann Sozialdemokraten ja auch nicht leiden; sie aber pauschal als Nazis und Naziwähler zu denunzieren, sei frechrechten Altlasten von CiceroJungeFreiheitNationalzeitung überlassen.

Auch die Welt-Kolumnistin Katharina Rutschky klagt über ostdeutsches Anspruchsdenken. Dem evangelischen Magazin chrismon sagt sie: „Der Osten ist überhaupt recht spießig, die haben gedacht, sie haben die absolute Sicherheit der DDR plus Mallorca plus Westauto, und weiter wird sich nichts ändern … Diese ängstliche Erwartung an Versorgung, Sicherheit, und dann wollen sie auch noch wählen.“

„Und dann wollen sie auch noch wählen“ – das geht selbstverständlich nicht, wählen dürfen nur so aufgeklärte Köpfe wie Katharina Rutschky, die von diesem Recht auch Gebrauch machen will: „Ich liebe meinen Kanzler“, bekennt sie zum wiederholten Mal und erklärt: „Ich sag das immer ganz laut, damit sich die Leute richtig ärgern. Ich wähle den auch wieder und ich liebe und verehre ihn.“

Frau Rutschky täuscht sich: Kleinmädchenpipigetue mit Kanzler ärgert niemanden, im Gegenteil: Es ist immer eine Freude, Springers Leuten bei ihren Blamagen zuzusehen.