Kannst du dir sparen !

Heute wird der Weltspartag begangen. Er wurde vor 80 Jahren aus sozialpädagogischen Gründen erfunden. Die Menschen sollten gezielt über den wirtschaftlichen Sinn des Sparens nachdenken. Das Ergebnis im Jahr 2004: Sparen in Deutschland ist eine vertrackte Sache – auch wegen Hartz IV

Heute ist Weltspartag. Jedenfalls in Deutschland, wo ihn die Banken und Sparkassen traditionell am letzten Werktag im Oktober begehen. Am offiziellen Weltspartag, am 31. Oktober, sind wegen des Reformationsfestes nämlich etliche Geschäfte in Deutschland geschlossen. Das hat eine gewisse Symbolik. Selbst der Mahntag für den vorbildlichen Umgang mit Geld ist keine feste Größe mehr, er wird hin und her geschoben, wie es den Deutschen passt. Anderseits, was soll’s. Um den Weltfernmeldetag und den Welt-Lepra-Tag schert sich hierzulande auch niemand. Überhaupt, was heißt eigentlich Welt-Spartag? Sollen wir mitteleuropäischen Sparer zu diesem Anlass darüber nachdenken, wie schwer es der Sparer in Bangladesch hat oder doch nur über den Sinn des Sparens bei uns?

Geiz, gar nicht geil

Seit einigen Jahren wird ja in Deutschland eher geklagt, ob es die Bürger mit dem Sparen nicht zu doll treiben. Seit die Konsumenten die Werbeparole „Geiz ist geil“ radikal befolgen, beschweren sich Einzelhandel und neuerdings Gewerkschaften unisono, dass Geiz gar nicht geil ist, sondern noch den ganzen Wirtschaftsladen Bundesrepublik kaputtmacht, wenn das so weitergeht. Die Sparsamkeit hat solche Dimensionen angenommen, dass sogar der Bundeskanzler in seiner letzten Neujahrsansprache zur Mäßigung aufrief und die Bürger an ihre volkswirtschaftliche Verantwortung erinnerte: „Auch Sie ganz persönlich können Konjunkturmotor sein: Ihr Vertrauen in die Zukunft entscheidet mit über den Arbeitsplatz Ihres Nachbarn.“

Allerdings hat Schröder in derselben Rede noch in anderen Bereichen auf mehr Eigenverantwortung gedrängt, dort nämlich, wo der Abbau des Sozialstaates finanzielle Lücken hinterlässt. Wie bei der medizinischen Versorgung oder der Altersvorsorge. Auf gut Deutsch, die Leute sollen selber mehr für ihr Wohl und Wehe tun. Ja was denn nun, fragt sich da der obrigkeitshörige Bürger: Soll ich jetzt mehr Geld zurücklegen oder ausgeben? Es ist also eine ziemlich komplizierte Sache mit dem Sparen heutzutage. Einerseits behindert es den Wirtschaftsaufschwung, weil die Binnenkonjunktur nicht in Fahrt kommt. Andererseits wird alles immer schlimmer, wie das Pessimismus-Organ Der Spiegel in seiner aktuellen Titelgeschichte gerade wieder bestätigt. Weitere zwei Millionen Arbeitsplätze dürften in den nächsten zehn Jahren auswandern. Kein Wunder, dass die zukunftsverängstigten Bürger ihr Erspartes zurückhalten und nicht im Konsumrausch auf den Kopf hauen. Immerhin haben sie noch was zum Zurückhalten, die Sparquote steigt seit Jahren wieder an und liegt bei fast 11 Prozent des Einkommens (im Osten etwas darunter).

Richten sich die Deutschen also wieder auf Notzeiten ein, so wie es dem Sinn des Sparens entspricht? Moment, sagt der Deutsche Bankenverband, von „Angstsparen“ könne keine Rede sein. Nach dem Crash an den Aktienmärkten hätten die Leute nur wieder mehr klassisch gespart, um ihre Vermögensverluste auszugleichen. Außerdem würde einfach mehr für die private Altersvorsorge getan. Wenn schon die Angst grassiert unter deutschen Sparern, dann eher die, das Ersparte zu verlieren. Nicht durch Bankenpleiten wie bei der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren, sondern durch Hartz IV. Bevor demnächst die Arbeitslosen nach nur einem Jahr auf Sozialhilfeniveau herunteralimentiert werden, müssen sie (so wie bisher schon die Sozialhilfebezieher) ihr Vermögen offen legen. Wer zu viel auf der hohen Kante hat, dem wird das Ersparte aufs Arbeitslosengeld II angerechnet. Der Aufschrei im Land war so groß – bei Bild sogar noch größer als vorher über die „Sozialschmarotzer“, die Leistungen zu Unrecht beziehen –, dass der Agenda-Kanzler seither gebetsmühlenhaft auf die Selbstverständlichkeit hinweist, dass der Staat mit den Steuergeldern auch der Geringverdiener nur die wirklich Bedürftigen unterstützen könne.

Mehr Geld, als die Polizei erlaubt

Dass nur die echten Habenichtse Staatsknete kriegen sollen, finden viele Deutsche anscheinend jedoch ungerecht. Laut einer Umfrage würde mehr als die Hälfte der Bundesbürger versuchen, ihr Vermögen vor den Folgen der Arbeitsmarktreformen durch Verheimlichung zu retten. Die Zeitschrift Capital wollte es genauer wissen und bekam nicht nur heraus, dass angeblich 45 Prozent der potenziellen Alg-II-Empfänger im Westen (und 9 Prozent im Osten) mehr Vermögen besitzen, als der Staat erlaubt. Fast jeder dritte Arbeitslose will demnach auch seine Konten plündern und das Geld zu Hause verstecken. Zwar wirft der Sparstrumpf keine Zinsen ab, aber das dort Gelagerte kann einem auch keiner nehmen. Beinahe jeder Zehnte will aber nicht mal darauf vertrauen, sondern sein Geld noch bis Jahresende ausgeben.

Tötet Hartz IV die Sparlust der Deutschen? Fakt ist, dass Sparen schon längst nicht mehr als Vorsorge für eventuelle eigene Notlagen begriffen wird. Je mehr der letzte Krieg in die Ferne rückte und zugleich der Wohlstand in der alten Bundesrepublik auf breiter Front wuchs, desto mehr erodierte der Boden, auf dem in Jahrhunderten die Einsicht zum Sparen gewachsen war. Von wegen „Spare in der Zeit, dann hast du in der Not“. Da die nicht mehr gesehen wurde, mutierte das Sparen für schlechte Zeiten zum Ansparen auf schöne Dinge.

In der DDR, wo es in Richtung Kommunismus ebenfalls nur noch bergauf ging, war das nur insofern wenig anders, als es dort nicht so viele schöne Konsumartikel zu kaufen gab. Nach der monetären und staatlichen Vereinigung konnten aber auch die Ostdeutschen endlich mitmachen beim Geldausgeben. Zumal auch der neue Staat seine Versprechungen machte, zum Beispiel, dass die Renten sicher seien und die neue Pflegeversicherung vor Unbill im Alter schütze: Eine unbeschwerte Zukunft schien möglich.

Beim Börsenboom zur Jahrtausendwende war das Sparbuch stärkstes Synonym für den Deppen, der noch an der alten Denke festhielt. Dabei galt das Sparen immer als eine typisch deutsche Tugend. Zwar sind die Sparkassen keine deutsche Erfindung – Vorgängerinstitute gab es schon in Italien (die Monti di Pietà, zu Deutsch: Berge der Barmherzigkeit) und Frankreich –, aber sie erreichten hierzulande im ausgehenden 18. Jahrhundert die größte Verbreitung. Die Geldinstitute richteten sich vorwiegend an die ärmere Bevölkerung, die sich hier ihren Notgroschen auf die hohe Kante legen sollte.

Zurück auf den Spartrip

Mit ihrem Anliegen seien die Sparkassen viel mehr „sozialpädagogische Institutionen“ als profitorientierte Unternehmen gewesen, sagt der Greifswalder Wirtschaftshistoriker Professor Michael North. Davon könne heute keine Rede mehr sein, schließlich förderten auch die Sparkassen mit günstigen Überziehungskrediten die Konsumentenmentalität bei ihren Kunden. Vor allem die jüngeren Leute sind längst nicht mehr so auf dem Spartrip wie ihre Eltern und Großeltern. Doch der Kapitalismus, der die Menschen in prosperierenden Zeiten vom ursprünglichen Spargedanken entfremdete, weil der die Konsumgesellschaft in ihren Grundfesten erschüttert, dürfte ihn in schlechten Zeiten auch wieder populär machen. Das Heer potenzieller Hartz-IV-Klienten ist viel zu groß, als dass nun alle durch hemmungsloses Besitzverprassen im Heute den Alg-II-Anspruch von morgen zu sichern versuchen würden. Was natürlich auch seinen Reiz hätte, zumindest im Sinne der Binnenkonjunktur. Wer dieser auf die Sprünge helfen will, aber über gar kein Geld verfügt, weil es nicht mal zur heimlichen Spareinlage unterm Kopfkissen reichte, der kann sich ja was borgen. 2005 ist offiziell das Internationale Jahr der Kleinstkredite. GUNNAR LEUE