Endlich mal abschalten!

Fünf Jahre nach der rot-grünen Regierungsübernahme geht in Stade das erste Atomkraftwerk vom Netz. Minister Trittin lädt ein – doch die Umweltschützer sind nicht recht in Partylaune

BERLIN taz ■ „Grün wirkt“, so lautet der Wahlslogan der Grünen. Im Falle des Atomausstiegs dauerte es fünf Jahre: Heute schaltet E.on mit dem niedersächsischen Atomkraftwerk Stade den ersten Meiler im Rahmen des vor zwei Jahren unterzeichneten Atomkonsenses ab. Für den grünen Umweltminister Jürgen Trittin ist das Ende des 31-jährigen Akw-Betriebs an der Elbe ein Grund zum Feiern. Er lädt heute Mitstreiter zum Empfang in sein Berliner Lieblingsrestaurant. „Die Atomenergie hat in Deutschland keine Zukunft mehr“, sagte er gestern im Bundestag.

Doch genau das ist die Frage. Oppositionsführerin Angela Merkel (CDU) hat bereits im August angekündigt, den Ausstiegsvertrag im Falle eines Regierungswechsels aufheben zu wollen. Die Stromkonzerne sollten ihre „Kernkraftwerke so lange betreiben, wie sie wollen“, meint die Physikerin im Parteiamt. Die Vereinbarung sei nichts als ein „Diktat“ der Bundesregierung gewesen, sekundierte der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff (CDU). Auch Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Walter Döring von der FDP meldete sich zu Wort: „Der Ausstieg aus dem Ausstieg ist notwendig.“

Angesichts des historischen Umfragehochs der Union kommt heute bei den Umweltverbänden keine Freude auf. „Die große Fete machen wir erst, wenn der letzte Reaktor vom Netz ist“, sagte Atomexpertin Susanne Ochse von Greenpeace gestern der taz. Auch Walter Jungbauer vom BUND wird der Einladung Trittins nicht folgen: „Bis zur Wahl kriegen wir zwei Meiler weg – und die 17 anderen werden weiterlaufen.“ Und selbst wenn Rot-Grün die nächsten Wahlen gewinne, ergänzt Jungbauer, „bis 2023 wird es mit Sicherheit zu einem Regierungswechsel kommen“. Solange wird es laut Rechnung der Umweltverbände mindestens dauern, bis alle Stromkonzerne die 2001 vereinbarten Reststrommengen für ihre Meiler aufgebraucht haben.

Tückisch an der Vereinbarung ist zudem: Wenn ein Atomkraftwerk, wie derzeit Biblis A, wegen sicherheitstechnischer Mängel nicht in Betrieb ist, kann auch die zugewiesene Strommenge nicht abgearbeitet werden. Also bleibt der Meiler länger am Netz. So sollte der hessische Meiler Biblis A eigentlich mit den Atomkraftwerken Obrigheim (Stilllegung 2005) und Stade noch vor der nächsten Bundestagswahl abgeschaltet werden. Doch nach mehr als einem halben Jahr Stillstand wird daraus nichts vor Frühjahr 2007.

Eines aber ist klar: Geht ein alter Meiler wie in Stade erstmal richtig vom Netz, erlischt auch seine Betriebsgenehmigung. Und nach dem Atomrecht hat die Technik der älteren Reaktoren heute keine Chance mehr, genehmigt zu werden. Abgeschaltete Meiler wiederbeleben kann auch Angela Merkel nicht.

MATTHIAS URBACH

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