Kinderkick ohne Karriereknick

Berlin schrumpft, die taz wächst. Weil Mütter und Väter keine Angst um den Job haben müssen. Und weil Familien unterstützt werden

Das Kind kam. Der Job blieb weitgehend derselbe. Als Stefanie Urbach vor drei Jahren aus dem Erziehungsurlaub zurück in die taz kam, hatte ihr Schwangerschaftsvertreter sich so gut eingearbeitet, dass er den Platz nur ungern geräumt hätte. Also überlegten die Werbeleiterin und ihr zeitweiliger Stellvertreter, ob die Verantwortung nicht kreativ umverteilt werden könne. Seitdem besteht das Marketing der taz aus drei Bereichen. Urbach wurde Leiterin für Kommunikation und Kreation. Und hielt sich mit Kind auf der Karriereleiter. Auch wenn nach taz-Schwangerschaften nicht überall die Ressorts neu organisiert werden, so gilt doch: Babys an Bord. Karrieren noch lange nicht im Eimer.

Heute ist Urbach wieder hochschwanger. Nur ungern geht sie in Mutterschutz, vor allem weil sich die Geburt der taz gerade zum 25. Mal jährt. Bei ihrer Rückkehr jedenfalls kann sie auf das Verständnis der Kollegen zählen: „Meine Arbeit bei der taz lässt sich gut mit meiner Familie vereinbaren“, sagt sie. Nicht zuletzt liege das an zwei sehr leidenschaftlichen Vätern in der Geschäftsführung, Andreas Bull und Karl-Heinz Ruch, die wüssten, was es bedeutet, wenn das Kind mal krank wird.

Während die Berliner Bevölkerung wegen Geburtenmangels weiterschrumpft, wächst die taz gegen den Trend. Allein der Wirtschaftsredaktion wurden in den vergangenen vier Jahren sieben Kinder geboren. Zurzeit ist Redakteurin Katharina Koufen schwanger. Das hat ganz praktische Vorteile: In der italienischen taz-Kantine Sale e Tabacci erhält sie auf Wunsch zwei Vorspeisen. Aber nicht nur dort kommt ihr das „kinderfreundliche Klima“ entgegen. Auch der Wiedereinstieg ins Redakteursleben wird durch flexible Arbeitszeiten erleichtert. Koufen etwa hat zweimal in der Woche den halben Tag frei. Um ihr erstes Kind vom Hort abzuholen. „Es ist hier nicht schlecht angesehen, Teilzeit zu arbeiten“, stellt sie fest. Auch Urbach arbeitet nur rund sechs Stunden am Tag: „Selbst in einer Leitungsposition wird einem das selbstverständlich nicht verwehrt.“

Es herrsche eben ein hohes Maß an Selbstbestimmung, sagt taz-Geschäftsführer Andreas Bull. Die Arbeitszeiten würden nicht kontrolliert. Viel hängt vom persönlichen Management ab. Wer Kinder und Karriere unter einen Hut bekommt, zeigt im Job ebenfalls Organisationstalent. Auch die taz profitiert also vom Kinderreichtum. Generell hat sie den „Anspruch, sich denen gegenüber anständig zu verhalten, die Kinder in die Welt setzen“, erzählt Bull.

Andere Unternehmen klagen darüber, dass ihr Zuschuss zum Mutterschaftsgeld immer größer werde, obwohl „Kinder kriegen nicht unbedingt in der Verantwortung des Arbeitgebers liegt“, wie Professor Wolfgang Däubler, Arbeitsrechtler an der Uni Bremen, erläutert. Die taz dagegen zahlt betriebliches Kindergeld. Im Mediensektor einmalig: „Das macht nur die taz“, heißt es bei der Gewerkschaft Ver.di.

Natürlich werden Redakteure anderswo besser bezahlt. Deshalb sei der Zuschuss notwendig, erklärt Geschäftsführer Bull. Das niedrige Gehalt allerdings lässt sich während der Schwangerschaft auch positiv deuten: „Wenn man eh nicht so viel verdient, dann ist der Einkommensverlust nicht so drastisch“, sagt Katharina Koufen. Zwar sei das taz-Kindergeld kein Anreiz zum Kinderkriegen. Aber: „Es erleichtert einem die Entscheidung.“ Schließlich ist der Zuschuss laut Bull fast die „einzige dynamische Komponente im Gehalt“.

Eine feste Garantie auf den vorherigen Job, und nur den, existiert auch bei der taz nicht. „Das kann kein Mensch zusagen“, findet der Geschäftsführer.

Wenn Stefanie Urbach nach der Schwangerschaft zurückkehrt, wird es diesmal keine Umstrukturierungen geben. Es gibt auch keine Schwangerschaftsvertretung. JOHANNES GERNERT