Ekel-Peter singt den Blues

Fernab von Landschaftsverstiegenheiten und Serbien: Mit seinen neuen Büchern „Untertagblues“ und „Über Musik“ wird Peter Handke wieder richtig sympathisch

von ANDREAS MERKEL

Man müsse ihm nur fünf Minuten Zeit geben, meinte Peter Handke einmal in einem ZEIT-Interview, das würde ihm reichen, um noch jeden tödlich zu beleidigen. Er sei eben „Ekel-Peter“, sprach er dort von sich selbst mit heiterer Boshaftigkeit.

Nach Lektüre seines neuen Stationendramas „Untertagblues“ glaubt man das sofort. Hier lässt der Büchner-Preis-Zurückgeber, der Aus-der-Kirche- Austreter, der mit allen verfeindete Prügelknabe des Feuilletons (um nur mal die allerersten und beliebtesten Google-Treffer zu zitieren) einen „Wilden Mann“ auftreten, der in einem furiosen Monolog die gesamte Mitfahrerschaft eines überfüllten U-Bahn-Waggons in Grund und Boden schimpft.

Er hasst sie alle, die ihm den Blick auf die Welt verstellen, wie er sie irgendwann mal als schön erfahren oder sich zumindest so vorgestellt haben muss. Er hasst sie, hasst sie, hasst sie: die Einsamen wie die Verliebten, die Glücklichen wie die Uneigentlichen, die Karrieristen wie die UN-Bürokraten, die Mobiltelefonierer wie die In-der-U-Bahn-Leser. Und das klingt so: „Schluss mit eurem Bücherlesen in der Metro – überhaupt in der Öffentlichkeit. Wem wollt ihr bloß derart vortäuschen, dass ihr Leser seid? Das Lesen und das Öffentliche, das schließt einander aus … Was ihr da mit den Büchern in den Händen aufführt, das ist alles andere als ein Lesen. He du, was ist das denn für ein Lesen, bei dem du die Stirn noch hässlicher runzelst, als sie dir ohnehin schon von Natur aus gerunzelt ist … Und dein Mienenspiel – Spiel? – beim Blättern: als ob du dem Buch einen Dienst erwiesest, du Wirtschaftsprüfer. Du Zerrbild eines Lesers du. Statt glühender Wangen zwei Topflappen.“

Dabei erscheint („ – erscheint? –“, wie Peter Handke sprachkritisch in seinen von Fragezeichen durchlöcherten Regieanweisungen dazwischenfragen würde – ja: erscheint!) der Wilde Mann in seinem Drama dennoch nicht nur als misanthropischer Grantler, sondern vielmehr als großer Verzweifler, Enttäuschter und nicht zuletzt Liebender. Nicht die Menschheit, aber die Menschen mit ihren Möglichkeiten (und Müdigkeiten!) liegen ihm so am Herzen, dass es zum Aufregen ist.

Das liest sich mitreißend und am besten laut. Handkes stets hoch nervöses und gleichzeitig um die ruhigen kleinen Betrachtungen bemühtes Heidegger-Deutsch beginnt zu rocken und ist sich selbst für Kalauer nicht zu schade (die bügelgefalten Hosen eines Mitreisenden sind eben „nur pico, nicht bello“). Dass der Wilde Mann am Ende mit diesem großartigen Hass allein gelassen im U-Bahn-Waggon bei sich selbst ankommt und also alles erschöpft in sich zusammenfallen kann, ist ebenso schön, wie es der „Wilden Frau“ nicht mehr bedurft hätte. Die darf mit einem Schlussmonolog den Wilden Mann endgültig zur Ruhe bringen, „leibhaftige Schlangenblitze oder Blitzschlangen“ auf diesen schießend.

Nicht ganz so wild geht es in der Textsammlung „Über Musik“ zu, die Gerhard Melzer zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen hat. Herausgekommen ist dabei ein „Lesebuch der musikalischen Nebenwege im Werk Peter Handkes“, die laut Verlag „Kontinuitäten, Zusammenhänge, Brüche und Widersprüche in Handkes Verhältnis zur Musik nachvollziehbar machen“ sollen. Na ja. Der edel in Schwarz und Pink gehaltene Einband mit Illustrationen von Handkes Tochter Amina (alias DJ Amina) ist zumindest jenen Radioverzweiflern wärmstens zu empfehlen, die schon mal ganze Nachmittage im düsteren Keller des „Saturn“-Elektromarkts zwischen den heillos differenzierten Regalen (Rock/Pop, Independent, Soul, Heavy Metal …) verschwendet haben und sich von der Musik, den Musikern und Geschichten ihrer eigenen Platten- und CD-Sammlung mitunter nur noch Aufmerksamkeit heischend zugelabert fühlen.

Da weiß Peter Handke dann erfrischend einfache Abhilfe: „Ohne Musik auskommen“ möchte er, und dass sein „Haus … ein Haus ohne Musik sein“ soll, denn die Musik „gaukelt mir vor, ich hätte schon etwas geschafft, was noch zu schaffen ist“, und „nimmt mir den Raum; sie verzerrt ihn“.

Das ist gut beobachtet und heilsam nachzuempfinden, vor allem da man weiß, dass Handkes Ablehnung keine kategorische bleibt, sondern eher das Bedürfnis nach Stille eines ins schlichte Hören Verliebten meint. Und darüber gerät man auch ins Staunen, zu welchen popkritischen Invektiven, aber auch sachkundigen Schwärmereien über die Beatles und Rolling Stones Handke seinerzeit fähig war. Beispielsweise in seinem 1973 erschienenen Text „Von der Schwierigkeit, einen Schlagertext zu schreiben“: „Von Anfang an waren die Texte der Beatles anspruchsvoller und besser als alle Chansons, weil sie nicht die ganze Welt in ihre Worte hineinzwängten, sondern mit kleinen Worten auf kleine Punkte in der Welt abzielten und so nebenbei die ganze Welt damit trafen. Das geschah ohne die tiefgründige Hinterlist des Chansons, ohne deren Zutatenpoesie, ohne die überholte Alte-Leute-Romantik, die von der Sonne schwärmt, die hinter den Dächern versinkt, ohne die amerikanische Nobelrestaurant-Romantik, die von dem Rauch schwärmt, der in deine Augen dringt: Das geschah so frank und frei, so selbstverständlich, einfach in der Anrede eines andern, des andern.“

So kann man Peter Handke, der einem in letzter Zeit mit seinen Landschafts- und Serbien-Verstiegenheiten zunehmend egal geworden ist, am Ende mit diesen beiden Büchern wieder entdecken und mögen. Und ihn – bei allem Hass und aller Liebe– so in Erinnerung behalten wie André Müller, der über ein Gespräch mit dem Autor 1979 schrieb: „Während wir den Bahndamm entlanggehen, setzt sich der Schlager ‚Ma Baker‘ in Peter Handkes Kopf fest. In einer Kneipe lässt er dann die Musicbox spielen. ‚Man wird nicht alt‘, sagt er.“

Peter Handke: „Untertagblues“. Ein Stationendrama. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003, 78 Seiten, 14,90 Euro Peter Handke: „Über Musik“. Herausgegeben und mit einem Nachwort von Gerhard Melzer. Illustrationen von Amina Handke. Droschl Verlag, Graz 2003, 98 Seiten, 31 Euro