Gutes Essen ist selten

Ernährungskultur und -qualität geht seit Jahren besonders in sozial schwachen Familien verloren. In Bremen wollen sich ernährungswissenschaftliche und praktische Projekte künftig besser vernetzen, um gutes Essen wieder zum Thema zu machen

Warmes Schulessen könnte manchen schon helfen

taz ■ Gesunde Ernährung ist teuer. Dass es nicht leicht ist, sich bei geringem Einkommen mit qualitativ hochwertigen und frischen Nahrungsmitteln zu versorgen, bedarf kaum der Erläuterung – denn beim Preisvergleich schlägt der Toast das Vollkornbrötchen und der Konservenmais den frischen Kolben um Längen. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass in einkommensschwachen Familien nicht unbedingt am Essen gespart wird. Ganz im Gegenteil: Zuerst wird bei Urlaub, Kleidung und Kultur gekürzt – erst auf Platz acht des heimischen Sparplans landet die Ernährung. Zu diesem Ergebnis kam eine Studie mit 100 Sozialhilfeempfängerinnen, die dieUlmer Diplom-Ernährungswissenschaftlerin Jutta Kamensky durchgeführt hat. Sie beweist, was in Kindergärten und Schulen schon länger zu beobachten war, wenn gerade die Kinder aus ärmeren Familien zur Pause teure, aber wegen zu hohen Zuckergehaltes ungesunde Markenprodukte aus ihren Frühstücksdosen zogen: Nicht nur der Geldbeutel bestimmt, was auf den Tisch kommt. Was kann also getan werden, um Fehl- und Mangelernährung entgegenzuwirken, von der besonders sozial Schwächere zunehmend betroffen sind?

Dieser Frage ist das dritte Bremer Forum „Gesundheitlicher Verbraucherschutz“ kürzlich nachgegangen. Das Forum wird vom Senator für Gesundheit und Soziales, der Verbraucherzentrale des Landes Bremen und dem Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin mit dem Zentrum für Public Health organisiert.

In der Praxis finden sich brauchbare Lösungsansätze: Die Bremer Fraueninitiative quirl e.V. verwirklicht beispielsweise in fünf Schulen und Kindergärten „undogmatische Vollwertkost“. „Es gibt eben auch mal Fischstäbchen“ sagt Regine Geraedts und erklärt, dass ein Vollkornbrötchen, getarnt als „Dschungelschnitte“, einfach besser ankommt. Von jungen Männern, die nicht wussten, dass Nudeln in heißem Wasser gekocht werden, berichtet Sozialpädagogin Hilke Bruns, die ihr Kochprojekt erfolgreich im Jugendtreff durchführte, um diese besonders problematische Gruppe zu erreichen. Zu Meinungsverschiedenheiten kam es beim Thema „Ernährungskompetenz“, denn, so Kamensky, „Ernährung ist nicht das Problem Nummer eins in sozial schwachen Familien – und auch Ratschläge sind Schläge“. Man erreiche nichts mit gut gemeinten Verbesserungsvorschlägen, sondern müsse Verständnis auf - und Leistung bringen. „Dort hingehen, wo die Leute sind, und niedrigschwellige Angebote machen.“ Mit Nachdruck verweist Geraedts auf eine weitere Ebene des Problems: fehlende Strukturen. „Nicht nur Armut führt zum Verlust von Esskultur, auch Kinder mit zwei berufstätigen Eltern sind betroffen“. Warme Verpflegung in Schulen könnte Abhilfe schaffen.

„Offensichtlich ist es mit Kompetenzbildung nicht getan“, fasste Moderator Otmar Weber nach der Diskussion zusammen. Der Plan für die Zukunft sei, in Bremen bereits bestehende, niedrigschwellige Projekte zu vernetzen. Die Kontakte zu Lehrenden an den Schulen sollen verstärkt gesucht und Berührungsängste mit dem Klientel abgebaut werden. Das komplexe Thema dürfe nicht wieder aus dem Blickfeld geraten. „Armut ist nicht sexy“, sagt Prof. Dr. Petra Kolip vom BIPS, „und deswegen haben wir uns viel zu lange davor gedrückt“. Christiane Moser