„Dieser Umbau ist einVorzug Bremens“

Wenn Bremen einmal groß ist, will es Kulturhauptstadt Europas 2010 werden. Den Weg dorthin soll Martin Heller weisen. Der Bewerbungs-Intendant im taz-Gespräch über notwendigen Strukturwandel, die Stadthalle und andere Baustellen

„Es fehlt an Mut, auch außergewöhnliche Architektur unserer Zeit zu begreifen als Ausdruck von Identität“

artin Heller ist Intendant der Bremer Bewerbung für den Titel der Kulturhauptstadt Europas 2010. Bis 1999 Direktor des Züricher Museums für Gestaltung, war der 1952 bei Basel geborene Kulturmanager anschließend verantwortlich für die Schweizer Landesausstellung Expo 02. Seit Mai arbeitet er für Bremen. Ein erstes Ergebnis präsentierte er Anfang Oktober: Das Vorkonzept „Baustelle Bewerbung“ (taz berichtete) beschreibt Grundthemen und Denkweisen, verrät aber nichts über konkrete Vorhaben. Darüber wird erst etwas zu erfahren sein, wenn die Bewerbung steht: Abgabetermin ist der 30. Juni 2004. Schon jetzt ist allerdings klar, dass das Projekt Kulturhauptstadt für Bremen mehr sein soll als ein einjähriges Kultur-Festival: Der Senat sieht die Bewerbung als Teil des Sanierungsprogramms.

Die Kulturhauptstadt-Bewerbung ist ein Projekt, das unabhängig von der Kulturbehörde etabliert wurde. Machen Sie und Ihr Team eine eigenständige Kulturpolitik?

Martin Heller: Nein. Meine Kernaufgabe ist keineswegs die bremische Kulturpolitik, sondern es ist die Bewerbung, und die hat in Übereinstimmung mit allen Entscheidungsträgern ein großes politisches Gewicht. Ein Teil des Prozesses der Modernisierung Bremens durch Kultur beinhaltet selbstverständlich den Umbau der kulturpolitischen Strukturen. Aber das bin nicht ich, der das macht. Ich habe ein Interesse daran, weil ich will, dass die Stadt im Falle eines Zuschlags fit ist, um die Kulturhauptstadt 2010 überhaupt realisieren zu können. Wir müssen jetzt antizipieren, was es heißt, Strukturen zu schaffen, die im Erfolgsfall auch die Last dieser Chance tragen können.

Die Projektgruppe ist mehrheitlich der stadteigenen Bremen Marketing GmbH (BMG) angegliedert. Deren Etat dwurde vom Senat jüngst um 10,5 Millionen Euro aufgestockt. Geld, über das Sie verfügen können?

Nein, die 10,5 Millionen sind spezielle Mittel für den Umbau, da habe ich kein Verfügungsrecht – mit Ausnahme der darin eingeschlossenen 2 Millionen für die Bewerbung. Alles andere ist dieses Zwischenfeld, von dem die Stadt erfreulicherweise sagt: Wir möchten nicht nur uns über Kultur modernisieren – auch die Art und Weise, wie Kultur politisch auf die Schiene gehoben wird, muss aktualisiert werden. Und wir möchten Akzente anders setzen. Dieses Feld ist längst noch nicht zu Ende diskutiert. Aber dass die Tendenz mehr in die Richtung geht, Leitbild setzende Projekte zu fördern, das ist klar. Das bringt auch die Dynamik mit sich, die durch die Kulturhauptstadtbewerbung in die Stadt gekommen ist: Man redet anders über Kultur. Und man redet überhaupt über Kultur, trotz der schlechten Wirtschaftslage.

Sie haben gesagt, im Bewerbungs-Jahr 2004 stünde Bremen im Schaufenster, da dürfe man sich keine Peinlichkeiten leisten. Eine Peinlichkeit ist aber schon programmiert, ausgerechnet auf dem Feld der Architektur: Der Urheberrechtsprozess in Sachen Stadthalle.

Da habe ich mich bis jetzt nicht eingemischt. Urheberrechtsklagen sind nichts Besonderes. Alarmierend ist eher die Art und Weise, wie dieses Problem hier als besonders gehandelt wird. Zumal in Hinsicht auf die städtebauliche Situation der Stadthalle, mit den Messehallen daneben – die Fehler haben weiß Gott früher begonnen. Aber darüber redet man nicht. Ich glaube, es fehlt an etwas ganz anderem. Es fehlt an Mut, auch außergewöhnliche Architektur unserer Zeit zu begreifen als Ausdruck von Identität. Wenn die Diskussion nur an einem bereits historischen Beispiel stattfindet, bei dem es um denkmalpflegerische Fragen geht, dann halte ich das für keine Großtat.

Es ist Ihnen zu kleinkariert?

Es ist ein Beleg für die Absenz eines wirklichen architektonischen Diskurses. Es wäre schöner, über diese ganze Geschichte sprechen zu können im Bewusstsein einer Diskussion über ein aktuelles, lebendiges Äquivalent. Und die gibt es kaum.

Werden Sie sich noch einmischen in die Stadthallen-Diskussion?

Das weiß ich noch nicht. Mich interessiert im Moment: Was geschieht mit der Umgedrehten Kommode? Und was mit dem Wohnbau außenrum? Und mich interessiert mehr, ob es eine Chance gibt für eine Erweiterung der Kunsthalle durch einen Neubau. Oder mich interessieren die immer noch dringend notwendigen Energien, die hinter dem Musicon-Projekt stehen.

Man sucht ja auch nach Vorbildern: Was hat Graz als Kulturhauptstadt 2003 richtig gemacht?

Vor allem eines, wenn ich mir die öffentliche Resonanz ansehe: Die Grazer haben mit einem Drittel des Gesamtbudgets einen großen Etat für Werbung reserviert. Dann haben sie mit den eigenen Möglichkeiten gut gearbeitet. Das suchen wir hier auch. Viele Programmpunkte haben klug ins Licht gesetzt, was Graz ist – den Umstand beispielsweise, dass es, im Gegensatz zu Bremen, eine kontinuierliche Avantgarde-Tradition hat. Und sie haben auf der Programmebene eine gute Mischung erreicht, Provokation zu überführen in definierte Events, die den Zeitgeist getroffen haben.Die Nachhaltigkeit in Graz kann ich nicht beurteilen. Ich denke, die Kulturszene und die Bauern jammern immer. Zumindest in den Alpenländern. Natürlich gehen die Budgets nach so einem Jahr wieder zurück. Es wäre auch absurd zu meinen, die müssten bleiben. Und Nachhaltigkeit kann sich auch äußern in einer erhöhten künstlerischen und projekttechnischen Kompetenz vor Ort. Stellen Sie sich vor: Bremen wird Kulturhauptstadt. Was Sie da an Kompetenzen aufbauen müssen hinsichtlich Kommunikation nach außen, beim Projekte-Erfinden und -Realisieren – das sind Dinge, die sind nachher nicht verloren.

In Graz sagen manche jetzt, man hätte weniger in Projekte und mehr in Strukturen investieren sollen. Ein Problem, das auch auf Bremen zukommt?

Da sind wir noch zu weit entfernt. Uns interessieren gegenwärtig die Strukturen auf einer grundsätzlichen Ebene. So wünscht die Stadt ja, Kulturpolitik umzubauen. Dieser Umbau ist ein Vorzug Bremens, und wir müssen das in unserer Bewerbungsschrift heraus stellen und sagen: Schon jetzt versucht Bremen nicht nur, ein paar muntere Agenturen anzuheuern. Sondern herauszufinden: Wie können wir uns organisch verbessern, um zu erreichen, was wir wollen. Das müssen wir uns hoch auf die Fahne schreiben.Meine Situation, von außen dazuzukommen hat den Vorteil, dass ich mich besser um die großen Linien kümmern kann. Deshalb ließe sich vorschlagen, dass das Kulturhauptstadtprojekt sogar über 2010 hinaus angelegt und konzipiert wird. Leider haben wir das nicht gemacht bei der Expo 02 in der Schweiz. Ich hätte gerne einen Nachfolger gehabt, sodass nicht nur der physische Rückbau betreut wird. Das Erbe hätte man produktiver nutzen können.

Ist das ein Plädoyer dafür, Kulturpolitik aus den Behörden herauszulösen und beispielsweise einer GmbH zu überantworten?

Nein, das ist eine ganz andere Diskussion. Die GmbH-Geschichte steht im Zusammenhang mit Rentabilitätserwartungen und dem Ökonomisierungszwang. Wofür ich plädiere, das ist ein größeres Gewicht von Köpfen und Einzelpositionen in der Festlegung von kulturpolitischen Linien. Auch die Kulturpolitik braucht mehr Brutstätten und Besessene.

INTERVIEW: Klaus iRLER