„Einen Stuhl vielleicht“

Mehr als ein Sitzmöbel und den richtigen Whisky braucht es nicht für den perfekten Abend – sagen die Liebhaber des Hochprozentigen mit der bestimmten Note. Das Rezept: Probieren und Studieren

von MARTIN KALUZA

Wenn sich die sonntäglich fahlen Wolken über die Täler des Sauerlandes legten und eine graue Feuchte bis in die Knochen fuhr, pflegte mein Stiefgroßvater das Haus mit einem seiner Lieblingskalauer auf den Lippen zu verlassen: „Du hast es gut“, sagte er dann zu meiner Großmutter, „du kannst hier gemütlich in der warmen Bude hocken. Ich muss in die Kneipe gehen, das kalte Bier saufen.“ Wäre er Whisky-Trinker gewesen, er hätte es gemütlicher haben können.

Zum einen wird zumindest Scotch ohnehin bei Zimmertemperatur getrunken. Und zum anderen eben gerne zu Hause, gerade wenn es draußen ungemütlich wird und Caipirinha keine richtige Lösung ist. „Ein Whisky, dazu eine Zigarre, und der Abend ist perfekt“, sagt Eva Sichelschmidt. „Mehr braucht man nicht. Einen Stuhl vielleicht.“ Sichelschmidt sitzt am mächtigen Schreibtisch im Verkaufsraum des „Whisky & Cigars“ in der Sophienstraße. Ein Foto von Heiner Müller hängt neben der Tür.

Wer den Laden unvorbereitet betritt, wird von dem Angebot fast erschlagen. In den Regalen stehen die bekannten Whiskys ebenso wie Flaschen mit nahezu unaussprechlichen schottischen Namen. Allein innerhalb der Single Malts gibt es hunderte von Destillerien. An welchem Ende soll man da mit dem Whisky-Trinken anfangen?

Die Grundtypen sind schnell aufgezählt: Schottische Whiskys werden aus gemalzter Gerste gebrannt. „Single Malt“ bedeutet, dass der Whisky aus einer bestimmten Destillerie kommt und mit Jahrgangsangabe verkauft wird – häufig ist sogar die Nummer des Fasses angegeben. Irischer Whiskey wird ähnlich hergestellt, allerdings wird er dreimal – und nicht wie der Scotch zweimal – gebrannt.

Neben dem Single Malt sind viele Verschnitte auf dem Markt, die Blended Whiskys. Ein Verschnitt wie der Johnny Walker Black Label ist sozusagen das Gegenstück zum Whisky mit Fassangabe: Auch wenn die Gerstenernte und der Geschmack der verwendeten Whiskys von Jahr zu Jahr variiert, sorgen Experten mit feiner Zunge dafür, dass der Black Label jedes Jahr gleich schmeckt.

Der amerikanische Bourbon hingegen ist im Grunde genommen ein ganz anderes Getränk als die Malz-Whiskys: Er wird vor allem aus Mais gebrannt, und auch Roggen wird, wenn auch seltener, in den USA destilliert. Die meisten bekannten Sorten – zum Beispiel Jim Beam, Wild Turkey oder Four Roses – sind Verschnitte. Eine reinere Form ist der Straigt Bourbon.

Und noch ein feiner Unterschied: Während die Bourbon-Hersteller ausschließlich neue Eichenfässer verwenden, nutzen die Geschmacksindividualisten aus den Single-Malt-Destillerien gezielt gebrauchte Bourbon-, Sherry- oder auch Rumfässer, um ihren Whiskys eine bestimmte Note zu geben.

Eugen Kasparek leitet im Whisky & Cigars den Kurs „Single Malt Tasting I“. Eine kleine Gruppe hat sich um den Tresen geschart, und dem Anfänger fallen schon die Gläser ins Auge, die Kasparek dort abstellt. Schottischer Whisky wird nicht aus den breiten, zylindrischen Gläsern getrunken, mit denen Dean Martin in seinen Filmen am Türpfosten zu lehnen pflegte und die, weil die Eiswürfel darin so schön klötern, Tumbler heißen. Das eigentliche Whiskyglas ist schmal und tulpenförmig und erinnert an ein Sherryglas. Der Tumbler, erklärt uns Herr Kasparek, sei eine amerikanische Gewohnheit aus den Zeiten der Prohibition: Wer beim Trinken überrascht wurde und seinen schwarz gebrannten Bourbon noch schnell im nächsten Blumentopf entsorgen konnte, zeigte achselzuckend das breite Glas vor und schwor Stein und Bein, er habe nur Wasser getrunken. Das mag mit dem Becher in der Hand glaubwürdiger sein als mit der Sherrytulpe.

Unter Anleitung unternimmt die Gruppe erste Schritte in die Analyse: Farbe, Duft, Körper, Geschmack, Abgang. Endlich also geht es ans Trinken. Als erstes ein An Cnoc. Kopfkratzen, „nussig“ sagt eine Teilnehmerin. „Cremig“, schlägt Herr Kasparek dagegen vor, leicht sei dieser Whisky, durchaus auch einmal nachmittags zum Tee geeignet. Ein anderer Herr spürt in den Destillaten vor allem dem Torf nach. Doch die anderen Nuancen? Ein Toffee-Aroma im Glendronach? Ein leicht speckiger Duft im Highland Park? Der Whiskynovize muss sich erst einmal ein wenig einriechen und -trinken, um diese Noten wiederzufinden. Aber nach dem dritten oder vierten beginnen die Beschreibungen dann doch einzuleuchten – was leuchtet nach drei Whisky auch nicht ein?

Es mag einige Übung erfordern, um zum Experten zu werden; das Trinken selbst ist dann aber doch recht einfach. Wer an der Verköstigung teilnimmt, wird am Ende einen Favoriten haben. Einsteiger mögen vor allem die milden, cremigen Sorten. Die Whiskys mit charakteritischem Geschmack – besonders die rauchigen, torfstarken Islays wie etwa Laphroaig – sind nicht jedermanns Sache.

Neben dem Basiskurs bietet das Whisky & Cigars auch „Master Tastings“ gleich in drei Schwierigkeitsstufen an. Dabei wird dann nicht mehr der Geschmack erklärt, sondern die Besucher bekommen nummerierte und befüllte Gläser vorgesetzt, die sie den Beschreibungen der Farb- und Geschmacksnuancen zuzuordnen haben. Spezialverköstigungen befassen sich nur mit den schottischen Inseln, mit Bourbon oder mit irischem Whiskey. Und in den Fachzeitschriften der Whiskykenner werden immer wieder mal „Studienreisen“ zum organisierten Destillen-Hopping durch die Heimat des Whiskys angeboten. Motto: „Probieren und studieren in Schottland.“ Es gibt also noch viel zu Trinken. Der Winter darf ruhig lang werden.