Krippenaufbau West

Rot-Grün hat das Ausbauen der Tagesbetreuung für Kinder beschlossen. Jedes fünfte Kind unterdrei Jahren könnte bald fern von zu Hause gefördert werden. Und der Staat kann sogar sparen

VON COSIMA SCHMITT

Nun ist es Gesetz: Überall in deutschen Landen sollen künftig Krippen die Kleinsten betreuen. Jedes fünfte Kind unter drei Jahren könnte dann fern der Eltern umhegt und gefördert werden.

Gestern hat der Bundestag den Ausbau der Tagesbetreuung beschlossen; gegen den Widerspruch der Opposition.

Eltern und Kinder könnten nicht länger warten, so Familienministerin Renate Schmidt (SPD). Ginge der Ausbau im bisherigen Tempo weiter, dann brauche Westdeutschland 160 Jahre, um ostdeutsches Niveau, und 304 Jahre, um den dänischen Standard zu erreichen.

Schon im Juli hatte das Kabinett das Gesetz verabschiedet, dann aber protestierten die Unionsländer im Bundesrat: Sie halten die Finanzierung der vielen neuen Krippen für nicht gesichert. Schmidt aber wollte ihr großes Reformprojekt nicht an parteipolitischem Kalkül scheitern sehen und behalf sich mit einem Trick: Den Teil des Entwurfs, dem der Bundesrat zustimmen muss, gliederte sie aus. Er sollte die Kinder- und Jugendhilfe neu regeln. Der große Rest aber, der die Kita-Offensive einleiten soll, kann im Januar in Kraft treten, für ihn genügt es, dass die rot-grüne Mehrheit im Bundestag zustimmte.

Bis 2010 soll für jedes fünfte Kind unter drei Jahren ein Platz in der Kita oder bei einer qualifizierten Tagesmutter geschaffen werden. Vor allem stark belastete Eltern sollen den Nachwuchs in der Krippe unterbringen können: Alleinerziehende, Doppelverdiener, die Mütter und Väter behinderter oder verhaltensauffälliger Kinder. Ein einklagbares Recht auf einen Krippenplatz aber sieht das Gesetz auch für diese Eltern nicht vor.

Wohl aber müssen die Kommunen ebenso wie die Regierung künftig jährlich Bericht erstatten, ob der Krippenausbau voranschreitet. Rot-Grün erhofft sich davon moralischen Druck. Denn bislang finden nur 3 von 100 West-Kindern Platz in einer Krippe, im Osten 37 Prozent. Um die Quote von 20 Prozent zu erreichen, hat Renate Schmidt errechnet, müssen die Kommunen in 6 Jahren 230.000 neue Plätze schaffen. Die Opposition hält das für nicht umsetzbar. Die Finanzierung sei „unglaubwürdig“ und auch „unseriös“.

Die Kleinkindbetreuung, so sieht es die Familienministerin vor, soll aus Geldern bezahlt werden, die die Kommunen durch die Arbeitsmarktreform Hartz IV einsparen. Schmidt rechnet mit 2,5 Milliarden Euro pro Jahr, von denen 1,5 Milliarden in die Kinderbetreuung fließen sollen. Das halten Oppositionspolitiker für zu optimistisch. „Die Kommunen können ihre Angebote nicht ausbauen, ohne Kosten an die Eltern weiterzugeben“, sagt etwa der kommunalpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Peter Götz (CDU). Kinderbetreuung werde damit „zu einem Luxusgut privilegierter Besserverdiener“.

In einem immerhin sind sich Politiker aller Couleur einig: Parteiübergreifend loben sie die Kitas nicht nur als Weg, Müttern die Rückkehr in den Beruf zu sichern. Vielmehr begrüßen sie sie auch als Chance gerade für Kinder aus sozial schwachen Familien. „Es darf nicht sein, dass Kinder in den Kindergarten kommen und nicht mit Messer und Gabel essen können“, sagt etwa Maria Böhmer, Vize der Unionsfraktion. Sie fordert eine Reform, die radikaler ist als das neue Gesetz: Alle Eltern sollen die Chance auf Entlastung durch die Kita erhalten und nicht nur die im Gesetz fixierten Problemgruppen. Vor allem aber will sie, dass die Kitakinder intensiv gefördert werden.

Dass sich dies sogar finanziell rentiert, ermittelte jetzt das Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Das Institut berechnete Kosten und Nutzen der Kita-Betreuung und fand heraus: Wer als Kind in der Krippe spielt, besucht seltener die Sonderschule, muss nicht so oft ein Schuljahr wiederholen, hat bessere Chancen auf einen guten Job. Fazit der Forscher: Langfristig spart der Staat, wenn er in die Kleinsten investiert.