Der wüste Planet

Die Gruppe Half Past Selber Schuld aus Düsseldorf zelebriert den Weltuntergang mit den Mitteln der Puppenkiste. Und auch sonst läuft alles rund beim No-Name-Festival im Hebbel-Theater am Ufer

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Man muss das alles mal zusammendenken: Atomenergie, Gentechnologie, Krieg. Kommt jetzt der Weltuntergang?

Für die meisten Menschen mag das nach einer düsteren Frage klingen. Für die Gattung der Science-Fiction-Autoren und Comiczeichner aber ist der Weltuntergang der Anfang von allem. Aus diesem Genre stammt auch der Bühnencomic „Die Sündenvergebmaschine“ des Duos Half Past Selber Schuld, die aus Düsseldorf zum ersten No-Name-Festival im Hebbel am Ufer angereist sind. Der kleinste gemeinsame Nenner der dort geladenen Künstler ist, irgendwo in Deutschland durchaus schon einen Namen zu haben – ob als Kultfigur in Hamburg (Mariola Brillowksa), als Konzeptualist des Theaters in Weimar (Janec Müller) oder als das Seltsamste der Off-Szene in Düsseldorf wie Half Past Selber Schuld. Aber Namen, von denen man in Berlin noch nichts gehört hat.

Den Kern von Half Past Selber Schuld bilden der Comiczeichner Frank Römmele und die Komponistin Ilanit Magarshak-Riegg, beide frei von Berührungsängsten mit eklektischen Anhäufungen. Dennoch verschafft ihr Stil großes Vergnügen, gleicht er doch einer Rache von Low Tech an den Effekten von High Tech: mit Skulpturen aus Papier, mit Zeichnungen, Dias, buntem Licht und bösen Puppen aus alten Socken greifen sie jenen Stoff an, den man meist als großes Kino kennt, von „Wüstenplanet“ bis „Matrix“. Das Endzeitpathos, der Heroismus im Kampf der Menschen gegen die Maschinen, der Wahnsinn der Forscher: Das alles wird mit einem Puppenkistencharme gebrochen, der den Gestus zurückschraubt auf ein menschliches Maß.

Dazu gibt es lustige Songs (wie im Grips Theater): Der letzte Mensch singt, nachdem ihm alle kritischen Worte aus dem Hirn operiert wurden „Schwester Beate, mehr Opiate“ und stirbt. Den Maschinen geht es nicht besser. Sie sind auf der Suche nach ihren Konstruktionsplänen, weil sie täglich mehr und mehr zerfallen, und singen drum: „Sorg für mich, ach bitte, bitte, sorg für mich“. So kann man sich ständig in Details verlieben.

Es ist seltsam. Die „Sündenvergebmaschine“ läuft im HAU 3 an jenem Ort, an dem jahrelang Andrej Woron sein Theater der Erinnerung mit Puppen und mechanischen Requisiten inszenierte. Die Mittel gleichen sich und die Lust an surrealen, dadaistischen Welten, obwohl die Medien, die sie rezipieren, fast ein Jahrhundert auseinander liegen.

Das No Name Festival läuft bis zum 18. November im HAU 2 und 3, am Halleschen und am Tempelhofer Ufer, während im HAU 1 der brasilianische Choreograf Bruno Beltrao mit seiner Grupo de rua „Telesquat“ aufführt. Bei ihm wird, was einmal Breakdance war, zu einer ungemein exakten Form, den Körper zu beobachten und neue Möglichkeiten zu entdecken. Da fällt die Entscheidung nicht leicht, welches Haus man ansteuert.

Aber zurück zum No-Name-Festival. Hier stellte Mariola Brillowska ihr Szpital Polski vor, das ab Januar einmal im Monat besucht werden kann. Eine Show mit Gästen, wie der „Singenden Tulpe“ aus Hamburg. Den Rahmen bildet das Design des Szpital Polski: Die Gäste werden zum Beispiel, bevor sie singen dürfen, als Notfallbabys auf die Welt gebracht oder kommen als Auto, das sich nicht mehr attraktiv fühlt, zum Arzt.

Mariola Brillowska ist sowohl Performerin wie bildende Künstlerin und ihre Zeichnungen, Trickfilme und Kostüme, die besonders viel Sorgfalt auf die Geschlechtsmerkmale legen, erzeugen ein beängstigendes Ambiente. Wahnsinnige Storys werden eingespielt. Zum Beispiel als Trickfilm, den die Patienten aus therapeutischen Gründen gezeichnet haben: Da erzählen sie dann von menschlichen Reservaten, von Züchtungsexperimenten und Nachgeburten, die als Pizzas gehandelt werden. Man ist ganz froh, nicht immer alles zu verstehen. Auszuhalten ist das nur durch den Stil, der sich stets über die Ungeheuerlichkeiten der Fantasien amüsiert.

Erwartet werden auf dem No-Name-Festival unter anderem noch Sven Mundt, der eine Erzählung von Rolf-Dieter Brinkmann mit einer Videoinstallation verbindet, und Janec Müller aus dem Theaterhaus Weimar.

Auch das ist eine theatrale Installation, die an jedem Ort anders ausfällt. Janec Müllers Stück „Euphoria“ verbindet einen alten Text, ein Reisetagebuch von Johann Gottfried Herder, mit einer Reise der Gegenwart in die gleiche Stadt, nach Riga. Schauspieler aus Riga spielen mit. So wächst die Autorenschaft ständig, Geschichten greifen ineinander, Fäden gehen verloren.

Insofern ist No Name doch ein passendes Label. Denn am Ende hat man bei diesen rhizomatischen Strukturen den Überblick verloren, wer nun eigentlich wen gesampelt hat.

„Die Sündenvergebmaschine“, HAU 3, Sa. 20 Uhr. „Euphoria“, HAU 3, Mo., Di. 19 Uhr; Sven Mundt, „Die Bootsfahrt“, HAU 2, Foyer, Sa. 22.30 Uhr