Der Favorit, der alle überrascht

Exgouverneur Howard Dean galt als zu linkslastig und provokant. Bis er seine Schwächen in Stärken verwandelte

Howard Dean hat bislang alle genarrt. Die Demokraten glaubten, er stünde zu weit links und sei daher für den Durchschnittsamerikaner nicht akzeptabel. Auch die Republikaner hielten ihn für eine leichte Beute, schließlich hatte er als Gouverneur des liberal-ökologischen Musterstaats Vermont erstmals in den USA homosexuelle Partnerschaften legalisiert.

Inzwischen blicken auch die Konservativen mit wachsendem Respekt auf den 55-Jährigen, der sich längst zum Spitzenreiter unter den demokratischen Anwärtern auf die Präsidentschaftskandidatur gemausert hat. Der frühere Arzt und Kommunalpolitiker, der von 1991 bis 2003 in Vermont regierte, hat den US-Wahlkampf revolutioniert. Sein Erfolg fußt auf einer breiten Basisbewegung, die seine Helfer über das Internet mobilisieren. Von einem Heer privater Kleinspender hat er Dollarbeträge in Millionenhöhe gesammelt, ohne sich dabei von bestimmten Interessengruppen abhängig zu machen.

Vor allem aber ist Dean der angry man, konfrontativ und scharfzüngig. Er teilt gern aus, neigt jedoch zu unberechenbaren Schnellschüssen. So wird er sich manchmal selbst zum größten Hindernis. Doch letzte Woche hat er bewiesen, dass er lernfähig ist. Eine flapsige Bemerkung hatte einen Proteststurm ausgelöst: Er wolle auch der Kandidat jener weißen Männer sein, die eine Südstaatenfahne am Pickup-Truck haben. Seine Widersacher sahen darin die typische Arroganz eines Neuengland-Intellektuellen. Er entschuldigte sich für mögliche Missverständnisse, und wenige Stunden später kündigten zwei der mächtigsten US-Gewerkschaften ihre Unterstützung an.

So ist das mit Dean. Scheinbare Niederlagen verwandelt er in Erfolg. Den größten Coup landete er diese Woche, als er den Verzicht auf staatliche Wahlkampfgelder kundtat. Die Zuschüsse des Fiskus sind lukrativ, binden die Kandidaten jedoch an enge Regeln. Dean ist der erste Demokrat, der diesen Schritt wagt.

Als größtes Pfund könnte sich aber seine konsequente Antikriegshaltung erweisen. Angesichts der guten US-Wirtschaftsdaten könnte der Irak wieder in den Mittelpunkt des demokratischen Wahlkampfs rücken. Und hier ist Dean bestens platziert.

Die Gegnerschaft zum Krieg hat ihm das Etikett „links“ eingebracht. Er unterstützt jedoch das Recht auf Waffenbesitz, die Todesstrafe und Militäreinsätze im Ausland, sofern sie der Verteidigung Amerikas dienen. Als Gouverneur konsolidierte er den tief verschuldeten Landeshaushalt, verkleinerte die Regierung und senkte die Steuern. Andererseits führte er eine Krankenversicherung für alle Kinder unter 18 Jahren ein.

„Ich bin in der Mitte“, sagte er jüngst. Ob die demokratischen Wähler das auch so sehen und ihn zum Bush-Herausforderer nominieren, werden die ersten Vorwahlen im Januar zeigen. Schon jetzt kommt Dean aber das Verdienst zu, den komatösen Demokraten neues Leben eingehaucht zu haben. MICHAEL STRECK