ENTSCHULDIGUNG BEI BOSNIERN RÜTTELT AM SELBSTVERSTÄNDNIS SERBIENS
: Versöhnung mit Hintergedanken

Die Entschuldigung des Präsidenten von Serbien und Montenegro, Svetozar Marović, ist wohl kalkuliert. Indem er im Namen des serbisch-montenegrinischen Staatenbunds bei den bosnischen Völkern für das „angetane Leid“ um Verzeihung bat, stieß er die Tür zu einer nachhaltigen Verbesserung der Beziehungen seines Landes zu Bosnien und Herzegowina, vor allem aber zur bosnischen Mehrheitsbevölkerung, den bosnischen Muslimen, auf.

Schon vor Wochen hatte sich Marović bei dem kroatischen Präsidenten Stipe Mesić für die serbische Aggression in Kroatien 1991 entschuldigt. Damit führte er Serbien-Montengero aus der außenpolitischen Isolierung gegenüber seinen nördlichen Nachbarn und gewann Sympathien bei den ehemals als „feindlich“ eingestuften Bevölkerungen. Nachdem das Echo in Sarajevo und Zagreb entsprechend positiv ausfiel, wird nach seiner Versöhnungsoffensive die Rückkehr serbischer Flüchtlinge nach Kroatien und in die kroatisch-bosniakische Föderation in Bosnien sicherlich erleichtert. Auch innenpolitisch setzt er Zeichen. Als Montenegriner weiß Marović zwar die öffentliche Meinung in Montenegro hinter sich – nicht allerdings die in Serbien. Indem er klarstellt, dass der Krieg in Bosnien kein Bürgerkrieg, sondern eine serbische Aggression war, rüttelt er an dem Selbstverständnis und den Selbstlügen der Nationalisten in Serbien und der bosnischen Serbenrepublik.

Die serbischen Nationalisten in Bosnien trifft er damit ins Mark. Und in Serbien wird mit der Versöhnungspolitik die Auseinandersetzung zwischen dem Reformlager und den ewig Gestrigen verschärft. Nicht zuletzt im Hinblick auf die Parlamentswahlen im Dezember ist dies für die jetzige Regierung aber nicht ohne Risiko. Doch auch sie weiß, dass ohne Klärung aller grundsätzlichen Fragen, die der Krieg mit den Nachbarn aufgeworfen hat, Serbien keine Zukunft in Europa hat. Will das Land wirtschaftlich wieder auf die Beine kommen, muss es zunächst seine Vergangenheit bewältigen. Bewegt Serbien sich nicht, könnte Montenegro sich zudem doch noch für die Unabhängigkeit entscheiden. Auch das hat Marović’ Entschuldigung motiviert. ERICH RATHFELDER