Die Häutung eines Abgeordneten

Zum ersten Mal seit seiner Rede macht Martin Hohmann alles richtig: Er entschuldigt sich. Und erhält mehr Stimmen, als Angela Merkel lieb sein kann

aus Berlin LUKAS WALLRAFF

Um 8.30 Uhr läuten im Bundestag die Glocken. „Was ist denn das?“, fragt irritiert einer aus der Pressemeute, die den Sitzungssaal der Unionsfraktion im dritten Stock belagert. Es sind die Glocken des Kölner Doms. Über Lautsprecher werden sie in alle Gänge übertragen, um zum Morgengebet zu rufen. Wie an jedem Freitag trifft sich ein kleines Häuflein Abgeordneter im Andachtsraum des Reichstags. Einer, der besonders großen Wert auf seinen Glauben legt, kann nicht dabei sein. Martin Hohmann, Katholik aus Neuhof bei Fulda, sitzt um 8.30 Uhr schon in einer Sondersitzung, die eigens für ihn einberufen wurde. Oder besser gesagt, gegen ihn. Fraktionschefin Angela Merkel hat entschieden: Als erster Abgeordneter in der Parteigeschichte soll Hohmann aus der Unionsfraktion ausgeschlossen werden.

Trotz mehrmaliger Aufforderung hatte er es nicht vermocht, sich von seiner antisemitischen Rede zum Tag der deutschen Einheit klipp und klar zu distanzieren. Nun ist es zu spät.

Hohmann weiß, dass er keine Chance mehr hat. Aber er nutzt sie. Er will seine Ehre retten – und das bedeutet für ihn, ein möglichst gutes Ergebnis zu erzielen. Bevor abgestimmt wird, spricht er zum letzten Mal als Abgeordneter der CDU zu den Kollegen. Und zum ersten Mal, seit seine antisemitische Rede zum Tag der deutschen Einheit bekannt geworden ist, macht Hohmann alles richtig. Er entschuldigt sich. Er bittet um Verzeihung. Er sagt, wenn er gewusst hätte, was seine Rede bewirken würde, „wäre alles nicht geschehen“. Hohmann sagt, dass er niemanden verletzen wollte. Dass er die Verbrechen des Holocaust nicht relativieren wollte. Vor allem appelliert er an das Mitleid der Kollegen.

Die Führung weiß, jetzt wird es gefährlich. CSU-Chef Edmund Stoiber hatte nicht umsonst vor dem „Kameradschaftsdenken“ in der Union gewarnt, das zu Gegenstimmen führen könnte. „Es darf nur ganz, ganz wenige Gegenstimmen geben“, hatte Fraktionsvize Wolfgang Bosbach noch kurz vor der Abstimmung gesagt und damit den Druck erhöht. Jede Gegenstimme, das wissen alle, würde nun als Stimme gegen Merkel gewertet.

Merkel schweigt nach Hohmanns Bitte um Vergebung.

Nur die Abgeordnete Vera Lengsfeld reagiert. Sie fleht Hohmann inständig an, er möge doch bitte, bitte freiwillig gehen, um der Fraktion den Rauswurf zu ersparen. Um sich selbst den Rauswurf zu ersparen. Hohmann lehnt ab. Er fürchte, als „Deserteur“ zu gelten, wenn er „von der Fahne gehe“. Die CDU sei seine Heimat, sein Leben, die Mitgliedschaft „wie eine zweite Haut“, die er nicht ablegen könne.

Selbst diejenigen Abgeordneten, die von Anfang an für Hohmanns Ausschluss waren, sprechen hinterher von einer „sehr emotionalen Rede, die alle sehr bewegt hat“. Auch Ute Granold, die wegen ihrer deutlichen Kritik an Hohmann persönlich bedroht wurde, ist sichtbar beeindruckt. Hohmann habe „humanitär-menschlich argumentiert“.

Um 9.20 Uhr verkündet Fraktionsgeschäftsführer Volker Kauder das Ergebnis. 195 Abgeordnete haben für den Ausschluss gestimmt. „Der Kollege Martin Hohmann ist damit aus der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ausgeschlossen“, sagt Kauder und verweigert jeden weiteren Kommentar. Auf die Schnelle fällt ihm offenbar keine Erklärung ein, warum 28 Abgeordnete mit Nein stimmten, warum 16 sich enthielten, warum 4 Stimmzettel ungültig waren.

Auch Merkel hält sich kurz. Sie sieht traurig aus. „Das Ergebnis ist eindeutig“, sagt sie. „Aber es zeigt auch, dass es vielen Kollegen schwer gefallen ist, diesen Schritt zu gehen.“ Nur wem? Zu den Neinstimmen bekennt sich zunächst niemand.

Merkels Freunde in der Fraktion schwärmen sofort aus, um die Medien zu beruhigen. Friedbert Pflüger, der außenpolitische Sprecher, betont, das Ergebnis bedeute keineswegs, dass diejenigen, die gegen den Antrag gestimmt haben, „inhaltlich Sympathisanten der Thesen von Herrn Hohmann sind“.

Um 9.40 Uhr ertönt die Klingel, die zur Bundestagsdebatte in den Plenarsaal ruft. Martin Hohmann wird dort künftig auf einem seperaten Stuhl Platz nehmen. Getrennt von der Fraktion. Rechts außen. Aber in Sichtweite.