Viele Ohren für Literatur

Hier Lesung, da Performance: Zwei Buchstaben-Festivals in Bochum und Dortmund gehen verschiedene Wege

Manche Literatur-Festivals der Republik häufen derart viele Lesungen an, dass einem ganz schwindelig wird. Ein roter Faden ist in den Programmen nur selten zu erkennen. Von einem prägnanten Gesicht der Veranstaltung ganz zu schweigen.

Jene Festivals aber, die sich für die kommenden Wochen in Dortmund und Bochum ansagen, haben ihre Wege allmählich gefunden. Der eine führt sozusagen in den multimedialen Mainstream, der andere zurück zur klassischen Lesung. Zurück? Ist denn der pure Vortrag eines Textes ein Relikt aus längst vergangenen Tagen? Bei der Dortmunder LesArt offenbar schon. Zwar kommt auch dieses Festival nicht ohne Lesungen im herkömmlichen Sinne aus. Doch Klaus Peter Sachau vom Verein für Literatur versucht geradezu stoisch, den reinen literarischen Text mit Hilfe anderer Medien zu unterfüttern. Zu diesem Zweck hat er sich zum Beispiel Jürgen Kuttner eingeladen, ein im Berliner Raum populärer und für reichlich Tamtam bekannter Radiomoderator. Oder Franz Dobler, DJ und Cash-Biograph, der mit Musiker Hubl Greiner das DJ Hörspiel Ensemble bildet. Es muss wohl alles ganz laut und bunt sein. Ganz so, als hätte sich mit der Zeit eine gewisse Müdigkeit beim Besuch von Lesungen eingestellt.

Dass dies zuweilen so ist, bekamen die Macher des Bochumer Macondo-Festivals in den vergangenen Jahren bitter zu spüren. Als bei der letzten Ausgabe der große Raymond Federman las, blieb das Auditorium traurigerweise ziemlich überschaubar. Das bringt die Macondo-Köpfe Petra Vesper und Frank Schorneck aber nicht davon ab, ihrem Stil treu zu bleiben. Auch in diesem Jahr verzichten sie auf Moden, geben stattdessen unbekannteren Autoren ein Forum. Der Debütantenball, bei dem Vesper und Schorneck ihre Entdeckungen aus der Literatur-Szene vorstellen, ist inzwischen zu einer Institution erwachsen.

Populäre Namen hat Macondo freilich auch zu bieten. Zur Eröffnung beispielsweise kommt Peter Esterhazy, diesjähriger Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels. Hier wird deutlich, welchen Anspruch Macondo hat – und LesArt nicht. Dort liest am letzten Festival-Tag der Tutti-Frutti-Erfinder Hugo Egon Balder aus seinem Leben. Die massenkompatible Autobiographie eines TV-Gesichts garantiert eben den breiten Zuspruch des Publikums, sprich: einen vollen Saal. Das will Sachau. Erst bei Dieter Bohlen hört für ihn der Literatur-Spaß auf.

Thematisch kommen sich die Festivals jedenfalls nicht in die Quere – schließlich bedienen sie ganz verschiedene Geschmäcker. Dass sie sich auch terminlich abgestimmt haben, sich zudem gegenseitig bewerben, ist eine beispielhafte Form der Zusammenarbeit, die im übrigen Teil der Kulturregion zuweilen zu vermissen ist. Nur hat es ein Festival wie Macondo leider schwerer, zuverlässige Sponsoren zu finden. Denn wenn sich herausstellt, dass eine Veranstaltung bloß einen kleinen Kreis Menschen anzieht, ist sie zunehmend unattraktiv als Werbefläche – auch wenn das Angebot noch so anspruchsvoll ist.

BORIS R. ROSENKRANZ

LesArt, Dortmund, 3. bis 7.11.2004Infos: 0231-5027710Macondo, Bochum, 7. bis 13.11.2004Infos: 0234-3333111