Sozialdemokratie voller Hoffnungen

114 Tage vor der Wahl in Schleswig-Holstein: Im Lagerwahlkampf zwischen den Meeren macht Schwarz-Gelb viel Dampf. Wenn der Nebel sich über dem Land hebt, könnte Rot-Grün wieder strahlen. Wenn die Heide ordentlich zugelangt hat

von Sven-Michael Veit

Genau fünf Jahre ist es her, da schien die Wahl in Schleswig-Holstein bereits entschieden. Volker Rühe, der Hamburger CDU-Import, würde im Februar 2000 den sozialdemokratischen Betriebsunfall beheben und der Union wieder die Macht im Norden bescheren, die sie 38 Jahre lang innehatte. Dann machten Kohls schwarze Kassen und Rühes Nähe zum Oggersheimer alle Träume zunichte; Heide Simonis durfte weiterhin die einzige Ministerpräsidentin eines deutschen Bundeslandes bleiben. Dieses Mal wird sie es allein schaffen müssen.

114 Tage hat die sozialdemokratische Hoffnungsträgerin noch Zeit, um ihre Rekordmarke weiter zu verbessern. Vor drei Wochen überbot sie mit elf Jahren, vier Monaten und 21 Tagen Amtszeit die Regierungsdauer der christdemokratischen Ikone Gerhard Stoltenberg (1971 - 1982). Heide kann länger – und, wenn es nach ihrer Partei geht, weitere fünf Jahre. Ob die 61-Jährige so lange auf der Brücke bleiben will, lässt sie offen. Denn erstmal, das weiß sie am besten, muss sie dort wieder hinkommen.

Und die Chancen dafür wachsen im Lagerwahlkampf zwischen den Meeren. Nur noch rund zehn Prozentpunkte – etwa 32 zu 42 – liegt die SPD nach den letzten Umfragen aus dem August hinter der CDU, und die Siegeszuversicht steigt bei den Roten seit Monaten. Der größte Ärger mit Kanzler Schröders Reform-Agenda scheint bewältigt, und zu der haben die Genossen in Schleswig-Holstein immer sorgsam Distanz gewahrt, den „roten Faden der Gerechtigkeit“ einfordernd. Geschadet zumindest hat es ihnen nicht.

Und außerdem gibt es ja noch jenen, den feixende Genossen gern als „unser bester Mann“ bespötteln. Peter Harry Carstensen, der Landwirt von der Insel Nordstrand, stolperte bislang von einem Fettnapf zum nächsten bei seinem Versuch, sich als Herausforderer der Frau mit den vielen Hüten zu profilieren. Ein Dampfplauderer, schlecht informiert, nicht faktensicher, ohne politischen Instinkt bei der verpatzten Präsentation seines ersten und zudem rein männlichen Schattenkabinetts, das ihm großenteils schon wieder abhanden gekommen ist. Und die Fahndung des Witwers im Juni via Bild nach einer neuen Gattin war selbst den wackersten Konservativen nur noch peinlich.

„Simpel strukturiert“ sei der Spitzenkandidat, beklagte sich eine Parteifreundin bei Bundeschefin Angela Merkel, selbst Carstensens Auswechselung wurde von den einflussreichsten Strippenziehern in der Nord-Union ernsthaft erwogen. Nur mangels personeller Alternative darf der 57-Jährige weitermachen – als sozialdemokratischer Hoffnungsträger Nummer 2.

Der dritte ist grün, darf seit fünf Jahren mitregieren und flirtet inzwischen mit einem zweistelligen Wahlergebnis. Zwischen neun und elf Prozent liegen die August-Prognosen für die Grünen, die sich aber nicht nur deswegen bei der SPD großer Wertschätzung erfreuen. Freundschaftlich bis herzlich ist das Klima in der Koalition, und Simonis darf selbst auf grünen Bundesparteitagen wie zu Monatsbeginn in Kiel heftig beklatschte Grußworte sprechen. Auch die kleinen Zankereien zwischen SPD-Wirtschaftsminister Bernd Rohwer und dem grünen Fraktionschef Karl-Martin Hentschel über die eine oder andere Autobahn und vor allem die Fehmarnbelt-Querung werden mit so gekonnter Routine inszeniert, dass der Haussegen niemals wirklich schief hängt. Rot-Grün Kiel ist ein Selbstgänger an der Förde, wenn die Mehrheit im Lande es so will.

Und im Zweifel gibt es ja noch, als vierten Hoffnungsträger, den SSW. Die kleine Dänenpartei ziert sich zwar mit Koalitionsaussagen, aber wenn es Spitz auf Knopf steht, wird sie ihre Präferenzen nicht verheimlichen können. Und sei es nach dem skandinavischen Modell der Tolerierung einer rot-grünen Minderheitsregierung.

Nicht die geringsten Hoffnungen hingegen setzt Titelverteidigerin Simonis auf die FDP um deren alerten Spitzenmann Wolfgang Kubicki. Der, ein Dampfplauderer vor dem Herrn, dem selbst sein Wunschpartner Carstensen kaum das Wort reichen kann, würde nur gar zu gerne das Land vom „rot-grünen Mehltau“ befreien. Bei sieben oder acht Prozent sehen die Demoskopen die Freidemokraten – für Schwarz-Gelb würde das zurzeit gerade noch so eben langen.

Nun muss Simonis eben mal ordentlich zulangen.