Im Wahn getötet

Landgericht spricht psychisch kranken Sohn vom Vorwurf des Totschlags an seiner Mutter frei: schuldunfähig. Der 29-Jährige bleibt in der Psychiatrie

Sozialpsychiatrischer Dienst „war nicht Gegenstand dieses Verfahrens“ „Der Kranke war auf dem Weg in die Katastrophe engmaschig betreut.“

bremen taz ■ Ob der zusammengesunkene Mann auf der Anklagebank die Tragweite des Urteils gestern erkannte, war ihm nicht anzumerken. „Freispruch“, hatte der Vorsitzende Richter Klaus-Dieter Schromek am Landgericht aber deutlich in seine Richtung gesagt. Und dann hinzugefügt, dass der 29-Jährige nun zwangsweise lange Jahre in der Psychiatrie leben müsse. Seine schwere Schizophrenie und die damit einhergehenden Wahnvorstellungen, aus denen heraus er seine Eltern angegriffen und die Mutter später getötet hatte, machten ihn weiter für andere gefährlich. „Seine Tötungsphantasien haben sich nicht nur auf die Eltern erstreckt.“

Damit ging in Bremen der zweite Strafprozess in diesem Jahr zu Ende, der sich gegen eine psychisch schwer kranke Person richtete. In beiden Fällen waren die Angeklagten zu Tätern geworden, weil im Vorfeld die Schwere der Krankheit nicht erkannt worden war. Beide Fälle hatten die Öffentlichkeit aufgerüttelt und Fragen dahingehend aufgeworfen, ob psychisch Kranke in Bremen ausreichend behandelt werden – damit sie nicht zur Gefahr für andere werden, aber auch, um sie selbst davor zu bewahren, solche Taten überhaupt zu begehen. Die Gesundheitssenatorin hatte dazu Untersuchungen angekündigt, der Sozialpsychiatrische Dienst hatte erklärt, in den jeweiligen Situationen angemessen gehandelt zu haben. Der Kranke wurde zudem von einer niedergelassenen Psychiaterin und einem psychiatrischen Betreuer begleitet.

Beides stellte der Vorsitzende Richter gestern im Rahmen der Urteilsbegründung ausführlich dar. Es habe klare Zuständigkeiten gegeben. Insbesondere der Betreuer habe sogar „fast am Rad gedreht“, um alles Notwendige zu veranlassen. Als er nach dem Angriff des Angeklagten auf dessen Eltern das veränderte Verhalten seines Schützlings spürte, habe er quasi jeden Tag einen neuen Termin gemacht, an dem der Kranke Fachleute sah – auch wenn manche Termine ausfielen, weil der Kranke nicht immer kooperierte.

„Jeder hat ein Recht auf Krankheit. Auch auf psychische Krankheit“, mahnte Schromek in seiner über einstündigen Urteilsbegründung. Dass der Angeklagte zudem auf manche Experten – beim psychologischen Dienst der Arbeitsagentur etwa – trotz der Schwere seiner Krankheit einen guten Eindruck hinterließ, zeige die Tücke der Krankheit. Die letztlich verhängnisvollen Bemühungen des Betreuers, den Kranken wieder mit der Familie auszusöhnen, die sich nach einem gewalttätigen Ausbruch vom Sohn und Bruder distanziert hatte, seien „nur allzu verständlich“ gewesen. Das Innenleben des „sehr, sehr schwer Kranken“, habe außer der Schwester niemand erahnt. Als deren Name fiel, blickte der Angeklagte auf.

Auch wenn der Ablauf der Tat bisweilen zielgerichtet erschien, bezweifelte das Gericht, dass der Kranke planvoll tötete. Eine Ärztin des Klinikums Ost hatte angegeben, noch nie einem Menschen gesehen zu haben, der so schwer krank war. Auch wenn eine Gutachterin rückblickend schon früh erste Anzeichen sah, war die Schwere offenbar lange verkannt worden. Sie mündete am 13. September vergangenen Jahres darin, dass der Mann seine 61-jährige Mutter niederschlug und erstach. Eine Mutter, die „vielleicht aus Mutterliebe“ mit in dessen Wohnung gegangen war, um frische Wäsche zu bringen und die schmutzige mitzunehmen – so rätselte das Gericht. „Wir wissen nicht, warum sie zu dem Sohn in die Wohnung ging – obwohl sie kurz vorher in der eigenen Wohnung die Messer aus Angst vor ihm versteckt hatte.“ Unklar sei auch, von wem die Initiative zu den Begegnungen an diesem Tag ausging – von Mutter oder Sohn. Letzterer konnte keine Aufhellung bringen, er erinnert nur Bruchstücke.

„Wir glauben, die Krankheit hat das Tun bestimmt, nicht der Wille“, so der Richter. Zuvor hatte er gemahnt: „Diese heimtückische Krankheit kann jeden von uns treffen.“ Mit Respekt sprach er vom Einsatz der Familie für den kranken Sohn und Bruder in einer äußerst schweren Lage. Dann warnte er vor leichtfertigen Rückschlüssen auf die Versorgung psychisch Kranker in Bremen. „Jeder, der Prognosen über das künftige Verhalten von Menschen zu treffen hat, kann sich irren“, so Schromek. Und: „Die Verantwortung des Sozialpsychiatrischen Dienstes war nicht Gegenstand dieses Verfahrens.“ Fest stehe jedoch: „Der Kranke war auf dem Weg in die Katastrophe engmaschig betreut.“ Wo es Fragen gebe, „werden die an anderer Stelle beantwortet werden müssen.“ ede