Die türkische Seele tanzt auf Extremen

Christoph Daum hat mit Fenerbahce Probleme in der Champions League, für Vicente Del Bosque läuft es mit Besiktas in der Liga schlecht. Heute wollen die beiden geplagten Trainer beim heißen Istanbuler Derby ihre Kritiker versöhnen

ISTANBUL taz ■ Das ist doch As-bach ur-alt“, ereifert sich Christoph Daum und muss erst einmal husten. Den Trainer des türkischen Fußballmeisters Fenerbahce Istanbul quält eine schwere Bronchitis, und nach den beiden deftigen Pleiten in der Champions League in Manchester und gegen Lyon piesackt ihn auch noch die türkische Presse. Vielleicht erklärt dies die schroffe Antwort auf die Frage des Reporters, was er denn zu dem Skandal um den Mafia-Paten Sedat Peker sage, in dessen Folge der türkische Fußballverband gezwungen war, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, und den im Kabinett für Sport verantwortlichen Vizepräsidenten zu der todernsten Aussage brachte: „Die Sache muss aufgeklärt werden.“ Vergangene Woche meldete die Zeitung Milliyet auf ihrer Titelseite taufrisch, es gebe Telefongespräche Pekers mit namhaften Funktionären und Spielern des türkischen Fußballs, die belegen, dass in der letzten Saison Spiele im Abstiegskampf manipuliert worden seien. Verwickelt ist u. a. Besiktas Istanbul, am Samstag im Derby Gastgeber von Fenerbahce.

Asbach uralt ist daran nur der Fakt, dass rund um den türkischen Fußball immer wieder Geschichten über manipulierte Spiele kursieren. „Sie dürfen nicht alles glauben, was in den türkischen Zeitungen steht“, belehrt Daum den Reporter, um dann aber, nach Rücksprache mit seinem Pressechef, gemäßigt im Ton, konziliant und hustend zu bemerken: „Die Dinge werden untersucht, und wenn was dran ist, wird es auch Konsequenzen geben.“

Das Jahr 2004 wird bestimmt nicht als ein erfolgreiches in die Annalen des türkischen Sports eingehen. Die Fußballer fehlten bei der EM, die beliebte Läuferin Süreyya Ayhan kostete ein Dopingskandal die Olympia-Teilnahme, und nun grinst auch noch Mafia-Pate Peker den Fußballverrückten im Lande schamlos aus dem Fernsehen ins Gesicht. Und auch die Auftritte des türkischen Fußball-Meisters in Europas Eliteklasse haben so gar nichts von einem Triumphzug. Der Marsch durch die heimische Süper-Lig hingegen gleicht nach nun neun Siegen hintereinander eher einem gemächlichen Sonntagsspaziergang, und deshalb beherrscht eine Frage die Diskussion, die fast so alt ist wie der Bart des Propheten: Ist die türkische Liga einfach zu schwach? „Wir werden auch in der Liga gefordert“, glaubt Daum. In der Champions League werde aber jeder kleine Fehler bestraft. Und außerdem, so fügt Daum schließlich launig hinzu: „Fragen Sie doch mal bei Bayern München, wie die gegen Lyon gespielt haben letzte Saison.“

Heute, bei Besiktas, erwartet Daum einen vermeintlich „gleichstarken Gegner“, der mit einem Sieg gegen den Erzrivalen seine miese Situation, derzeit nur Platz 9, vergessen machen könne. Statistiker haben herausgefunden, dass die „schwarzen Adler“ den schlechtesten Saisonstart seit der Saison 1975/76 an den Tag legten – damals unter dem deutschen Trainer Horst Buhtz. In dieser Saison war bisher an den Heimspielen von Besiktas im renovierten Inönu-Stadion das Schönste, dass man vorher, gegenüber, im Garten des Dolmabahce Palastes, direkt am Ufer des Bosporus, entspannt den langen Sommer genießen konnte. Dass der neue Trainer Vicente del Bosque, einst von Real Madrid trotz zweier Champions-League-Erfolge kalt abserviert, noch immer im Amt ist, nimmt wunder im gewöhnlich trainerentlassungsmanischen Istanbul.

Vor vier Wochen war Del Bosques Demission beschlossene Sache. Doch nachdem die Mannschaft durch ein augenlichtschmerzendes 1:0 gegen Bodo Glimt die Gruppenspiele im Uefa-Cup erreichte, wird die Welt wieder in den buntesten Farben gesehen beim ältesten der drei großen Istanbuler Vereine. Und Del Bosque ist immer noch im Amt. Die Fans, die den schnauzbärtigen Spanier schon mit den übelsten Schmähgesängen verdammten, feiern diesen nach zuletzt zwei Siegen wieder in höchsten Tönen: „Del Bos-que – ole, ole, ole!“ Die türkische Seele tanzt eben gerne auf den Extremen. Ein Zustand, der Christoph Daum nicht unbekannt ist.

Mit Besiktas gewann er einst die türkische Meisterschaft. „Ich freue mich auf das Wiedersehen“, sagt er heute. In der letzten Saison wurde er herzlich empfangen im Inönü. Aber nach dem Spiel, das Besiktas gegen Fener verlor, flogen ihm Gegenstände und Beschimpfungen entgegen. „Man darf hier nicht alles so ernst nehmen“ sagt Christoph Daum und muss husten. Ja, ja, so sind sie, die alten, neuen Geschichten aus der Welt des türkischen Fußballs.

TOBIAS SCHÄCHTER