Ein Blatt von Format

Tabloids sind ein Erfolg – sagt der „Welt Kompakt“-Chef Jan-Eric Peters.Nur mit den Zahlen will er vorsichtshalber immer noch nicht herausrücken

Tabloids sind für Leute, die nicht gern im eigenen Bett übernachten

AUS LEIPZIG ANNA LEHMANN

2003 wurde es in England neu erfunden, 2004 allein in Deutschland viermal kopiert: das Tabloid, das handliche Format als Wunderwaffe gegen die Krise.

Ob das gelingen kann, wollten diese Woche rund 100 Betroffene auf einer Fachtagung in Leipzig erörtern. Mit dabei: Chef von Springers Welt Kompakt, Jan-Eric Peters, und Holtzbrincks regionaler Mini-Zeitung 20 Cent, Peter Stefan Herbst. Beide Zeitungen sind zeitgleich im Mai auf den Markt gekommen, beide als Ableger eines großformatigen Blattes: der überregionalen Welt und der in Ostbrandenburg vertriebenen Lausitzer Rundschau.

„Alle Erwartungen übertroffen“, konstatiert Peters, der smarte „gesamtverantwortliche Chefredakteur von Welt, Kompakt und Berliner Morgenpost“ (Springer-Sprech), ohne dies freilich mit Zahlen zu belegen. Das war schon vor einem Monat beim Verlegerkongress so, und die versammelte Schar der „watchdogs“, der Hüter der Meinungsfreiheit nimmt’s auch jetzt so selbstverständlich hin, wie die ebenfalls ausbleibende Antwort auf die Frage, warum denn die meisten Texte ohne Quellenangaben seien. Peters meint später auf Nachfrage, solche Angaben verwirrten den Leser nur.

Auch Herbst frohlockt über den Erfolg von 20 Cent und nennt sogar Zahlen: 20.000 Exemplare werden täglich gedruckt, ein Sechstel der Auflage des Mutterblattes. Die Internetseite sei gut besucht, was zur Hälfte der Single-Seite geschuldet ist. 20 Cent hat zwar keinen Kulturteil, aber eine Kontaktbörse. „Das ist das richtige Produkt für jemanden, der gern auf Konzerte, Partys und in Diskos geht und einen Partner sucht. Für jemanden, der gern im eigenen Bett übernachtet, ist das Produkt nicht geeignet“, stellt Herbst unmissverständlich klar.

„Lies die Hälfte“ lautet das Rezept, denn die Leser sollen nicht mit komplexen Informationen überfordert werden. „Würde die Welt komplett in die Welt Kompakt übertragen, dann wäre diese doppelt so dick“, erklärt Peters. Deshalb sei Welt Kompakt „streng nachrichtlich“ orientiert. Agenturen, Infografik und gekürzte Texte aus der Mutterzeitung – und fertig ist das Blatt. 20 Cent berichtet darüberhinaus täglich über die angesagtesten Party der Lausitz: „Das schafft ganz neuen Lese- und Diskussionsstoff“, freut sich der Chef.

Die Mittel gleichen sich bei allen Tabloids: mit einem Minimum an Aufwand und Kosten wird ein gefälliges Produkt gemacht: „Hinter Welt Kompakt steht die Kraft der gesamten Welt-Redaktion“, sagt Peters. Die bei der Fusion von Berliner Morgenpost und Welt von 600 auf 350 Mitarbeiter geschrumpfte Redaktion produziert seit Mai drei Tageszeitungen. Für Peters kein Problem: „Man schaukelt sich gegenseitig hoch und versucht den anderen zu zeigen, wie es besser geht.“ 20 Cent kalkuliert die Produktionskosten auf 800.000 Euro im Jahr und stellt sogar sechs neue Redakteure ein – zum Preis von dreien. Die zehn auf Pauschalistenbasis arbeitenden Reporter werden wie Volontäre bezahlt. „Aber sie sind natürlich froh, überhaupt einen Job zu haben“, sagt Herbst und hat damit vermutlich Recht.

Die anwesenden Verlagsvertreter hatten kaum Einwände gegen die tabloiden Formen und Inhalte, wollten sich aber zu eigenen Ambitionen nicht äußern. „Das sei alles sehr interessant“, hieß es ziemlich vage.

Die Entwicklungen im Tabloid-Mutterland Großbritannien zeige auch die Grenzen des Miniaturbooms, so der Journalistikprofessor Peter Cole von der Universität Sheffield: Der linksliberale Independent, der sich im letzten Jahr als erstes Blatt verkleinerte, konnte seine Auflage damit um zwanzig Prozent steigern. Die Times zog mit einer kleinen Times nach, aber: „Die Verkaufszahlen stiegen nur um fünf Prozent, was sicherlich auch mit der Idee der Times als Zeitung der konservativen Mittelklasse zu tun hat.“ Sei’s drum: Zumindest die Samstagsausgabe, meldete die Times gestern in eigener Sache, gibt ab sofort nur noch in Klein.

Der Guardian halte sich dagegen zurück, so Cole: Dort wolle man keine aussichtslose Verfolgungsjagd starten. Das Blatt stellt zwar auch um – bleibt aber eine Nummer größer: Der Guardian will ab 2006 im so genannten Berliner Format erscheinen. Deutsche Leser kennen es schon länger – von der taz.