BEI VOLKSWAGEN SOLLTE DIE IG METALL ZURÜCKHALTUNG ZEIGEN
: Wolfsburg ist nicht Bochum

Hartmut Meine ist wirklich nicht zu beneiden. Der 52-Jährige ist Verhandlungsführer der Industriegewerkschaft Metall im Tarifstreit mit Volkswagen. Und als solcher steht der Mann mit der stets roten Krawatte gleich von drei Seiten unter Druck. Erstens: Nach dem Debakel der Metaller bei der Einführung der 35-Stunden-Woche im Osten und nach den teuren Kompromissen bei DaimlerChrysler will die Zentrale der Gewerkschaft in Frankfurt, dass die IG Metall den Bossen jetzt endlich zeigt, was eine Harke ist. Zweitens: 97 Prozent der VWler sind gewerkschaftlich organisiert. Und sie erwarten mehr als Nullrunden. Die unmittelbar nach Ende der Friedenspflicht gestarteten Warnstreiks in mehreren Volkswagen-Werken zeigen, dass die Malocher mindestens einen Inflationsausgleich wollen. Aber auch, dass sie den Ernst der Lage noch nicht begriffen haben.

Die Volkswagen-Bosse dürfte die Wut der Arbeiter nämlich wenig jucken. Das ist Hartmut Meines drittes Problem: Wenn die deutschen Werke bei Europas größtem Autobauer nicht ausgelastet sind, wenn VW für jeden verkauften Bus, Golf oder Passat zwischen 50 und 100 Euro Verlust einfährt, dann dürften sich die Volkswagen-Manager insgeheim sogar über jede Arbeitsniederlegung freuen. Nur so lässt sich erklären, dass die Turbo-Kapitalisten gleich zu Anfang des Tarifstreits mit ihrer neuen Forderung nach Nullrunden bis 2014 den Bogen überspannten. Warnstreiks, na und?

Siemens hat in seinen deutschen Handy-Werken die 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich eingeführt. DaimlerChrysler denkt plötzlich über die Zukunft seiner Kleinwagenmarke Smart nach. Selbst Porsche will seinen Mitarbeitern die bezahlte Fünfminutenpause pro Stunde streichen. Und ehrlich: So schlecht geht es auch den Wolfsburgern eigentlich nicht. VW ist noch nicht Opel. Der gesamte Volkswagen-Konzern fährt nach wie vor Gewinne ein, spätestens im Jahr 2006 erwarten Analysten durch die Einführung neuer Modelle auch wieder Profite bei der Hauptmarke VW. Der Haustarif der 103.000 westdeutschen Werker liegt derzeit 20 Prozent über dem Metall-Flächentarif, auch über dem der VW-Tochter Audi. Ein Volkswagen-Mitarbeiter verdient also im Durchschnitt 33 Euro in der Stunde, sein Kollege bei Renault oder Peugeot nur 23 Euro.

„Autos kaufen keine Autos“ und „Lohnverzicht bringt es nicht“ sind die alten Gewerkschafter-Slogans. Aber die haben derzeit leider keine Konjunktur. Auf genau diese Konjunktur sollte IG-Metall-Verhandlungsführer Hartmut Meine warten. Und inzwischen die Wut seiner Leute drosseln. Eine Lohnsteigerung mit einer Null vor dem Komma dürfte diesmal reichen. KAI SCHÖNEBERG